Belver im Alentejo
Belver? Alentejo? Kann gar nicht sein. Selbst viele Portugiesen sind überrascht, dass der kleine Ort am Nordufer des Tejo noch zum Alentejo gehört. Der Tejo ist so etwas wie der Rhein Portugals und teilt das Land in zwei ungleiche Hälften. Was südlich liegt, gehört zum Alentejo – „jenseits des Tejo“, sagt ja schon der Name. „Jenseits“ ist natürlich von der Hauptstadt aus gesehen, also südlich. Belver liegt auf der Nordseite und damit knapp daneben.
Der kleine Ort ist damit zugleich die berühmte Ausnahme von der Regel. Wie eine neolithische Speerspitze bohrt sich der Bezirk in den Distrikt von Santarém und orientiert sich dabei an Bachläufen und alten Gemarkungsgrenzen. Aber warum schwappt der Alentejo ausgerechnet hier über den Fluss nach Norden?
Wandern im Alentejo boomt
Wir klären das später, im Augenblick ist uns das Latte. Was zählt, ist, dass der Frühling übers Land rollt und wie mit einem Farbeimer bunte Blumen auf die grünen Hänge kleckst. Das schreit geradezu nach einer Landpartie. Früher waren es vor allem deutsche und französische Touristen, die im Alentejo die Wanderschuhe schnürten, mittlerweile finden auch portugiesische Urlauber Gefallen daran.
Heute allerdings begegnen wir niemandem. Vielleicht liegt es daran, dass der Tag schon etwas fortgeschritten ist – eigentlich genau richtig für ein paar gemütliche Kilometer über Stock und Stein nach Belver und zurück. Jetzt im Frühling sind die Temperaturen ja auch noch recht gemäßigt. Die Zikaden singen schon kräftig, aber die Luft flirrt nicht so, und manchmal spendet eine Pinie Schatten. Verlaufen können wir uns nicht, denn unten im Tal steht immer der Tejo, der hier zum langgestreckten See gestaut ist. Und weil Wandern im Alentejo boomt, ist unser Spazierweg vorbildlich beschildert.
Schatzkammer und Armenhaus
Wir wandern ganz gemächlich und staunen über die Farbenpracht der Blumen. Es ist, als wollte der Alentejo vor der Sommerhitze noch einmal zeigen, was in ihm steckt. Der Winter war viel zu trocken, der April zum Teil seltsam verregnet, auch die Einheimischen schütteln die Köpfe über die Wetterkapriolen. Trotzdem blüht es tapfer am Wegesrand.
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt der Alentejo als Schatzkammer des Landes. Der Preis dafür war allerdings hoch. Denn auf den Reichtümern saßen die Großgrundbesitzer. Wie mittelalterliche Feudalherren herrschten die Patrões über Olivenhaine, Weinberge, Weizenfelder und Korkeichenfluren, die sich oft bis zum Horizont und noch darüber hinaus erstreckten. Den Kork schälten rechtlose Tagelöhner, auf den Feldern schufteten bitterarme Landarbeiter und Erntehelfer, die über Generationen hinweg kaum eine Schule von innen gesehen hatten.
Die Nelkenrevolution von 1974 hat diesen Zuständen ein abruptes Ende gesetzt. Heute sind die Bauern in Genossenschaften zusammengeschlossen, die Weine des Alentejo gewinnen international immer mehr an Renommee, und auch der Tourismus spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Trotzdem beherrscht die Landwirtschaft immer noch das Bild, große Städte oder Industrien gibt es nicht, und im europäischen Vergleich steht die Region am unteren Ende der Einkommensskala.
Wechselvolle Landschaften „ab vom Schuss“
Authentisch, sagt man dazu im Reisemarketing. Landerlebnisse sind gefragt, und wenn Agro-, Wander- und Radtourismus dazu beitragen, die Einkommensverhältnisse zu verbessern, ist daran nichts auszusetzen. Tatsächlich kennt Portugal Initiativen, die sich gegen die Landflucht stemmen und das Landleben auch für junge Leute wieder attraktiver machen wollen. Über eine davon – allerdings nicht im Alentejo – haben wir hier im Blog schon berichtet.
Abgesehen davon gibt es ja nicht den einen Alentejo, sondern viele. Unser Spaziergang heute führt durch eine hügelige, von Blumen und Felsen getupfte Landschaft, die zum Fluss hin steil abfällt. Weiter im Süden ist der Alentejo flacher, auf den leicht gewellten Ebenen verteilen sich Korkeichen in locker gestreuten Gruppen. Die Zwischenräume füllen im Westen Kornfelder, im bergigeren Osten, wo die Böden steiniger sind, wächst Wein.
Im Sommer brütet im Alentejo, schon wenige Kilometer jenseits der Küste, eine große Hitze. Die macht nicht nur Blumen den Garaus, sie wirkt auch entschleunigend auf den Alltag, weshalb die Alentejanos im Rest der Republik einen ähnlichen Ruf genießen wie bei uns die Ostfriesen. Immerhin sind die Leute hier nicht so verrückt, am Mittag durch die Gegend zu wandern. Aber wie gesagt: Es ist Frühling, das Land blüht, da kann man das schon mal machen.
Waldbrände schlagen Wunden
Unterwegs sehen wir die Spuren der jüngsten Brände. Zuletzt haben hier vor zwei Jahren die Flammen gewütet. Das war das Jahr, in dem in Portugal über 60 Menschen zu Tode kamen, weil sie sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Zum Glück hatten Belver und Umgebung keine Todesopfer zu beklagen, aber das Feuer bedrohte gleich mehrere Dörfer der Region.
Die Brandgefahr im Sommer ist nicht nur im Alentejo ein riesiges Problem. Sie hat unter anderem mit der massenhaften Aufforstung durch Eukalyptusbäume zu tun. Die wachsen schnell und versprechen schnelles Geld, aber sie fangen auch leicht Feuer und brennen wie Fackeln. Da sich in Portugal jedoch die meisten Wälder in Privatbesitz befinden, gibt es kaum Möglichkeiten der staatlichen Kontrolle. Also wird auch weiterhin in großem Stil Eukalyptus gepflanzt. Nicht selten säen sich die Bäume nach einer Brandkatastrophe auch selbst wieder aus.
Warum Belver zum Alentejo gehört
Hinter einer Kehre kommt die Burg von Belver in Sicht. Fortan wandern wir auf sie zu, ihr Bild – mal von Felsen, mal von Blumen gesäumt – begleitet unseren Spaziergang. Je näher wir ihr kommen, desto beeindruckender erhebt sie sich auf ihrem steilen Hügel, der wie gemacht zu sein scheint für eine Festung. Tatsächlich wurde sie nie eingenommen, was schon etwas heißen will für eine Zeit, in der sich auf der iberischen Halbinsel hochgerüstete muslimische und christliche Heere gegenüberstanden.
Im 11. und 12. Jahrhundert herrschte dort eine Pattsituation, beide Seiten verbuchten Siege und kassierten Niederlagen. In dieser Lage, genauer am 13. Juni 1194, vermachte der portugiesische König D. Sancho I. das Land von Guidimtesta – so lautet der alte Name für das Gebiet um Belver – den kampferprobten Kreuzrittern des Hospitaliterordens. Belver gab es damals noch nicht, aber es sollte bald entstehen. Denn der König verschenkte sein Land nicht umsonst: Er verpflichtete die Ritter, eine Burg zu errichten, die – so bestimmte er es – Belver heißen sollte.
Seitdem steht die stattliche Festung dort, geplant als Bollwerk gegen die maurischen Streitkräfte im Süden. Als die Portugiesen ihr Festlandreich gesichert hatten und sich seit dem 14. Jahrhundert nach Übersee orientierten, verlor die Burg rasch an Bedeutung. Aber in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Entstehung war sie ein wichtiger Baustein bei der Rückeroberung des Alentejo von den Muslimen.
Das beantwortet zugleich die Frage, warum Belver samt Guidimtesta das einzige Stück Alentejo ist, das auf der „falschen“ Seite des Flusses liegt: Das vom König verschenkte Land und der Bau der Festung waren Maßnahmen, die ausschließlich auf den Alentejo zielten. Der Blick ging also von Anfang an nach Süden, und das tut er bis heute, auch kommunalpolitisch.
Spaziergang mit kulinarischem Ende
Heute ist die Burg umsäumt von prächtigen Blumen und saftigem Grün. Natürlich steigen wir hinauf auf den Burgberg. Der Blick von den Zinnen ist fantastisch, egal in welche Himmelsrichtung. Unten schlängelt sich das blaue Band des Tejo durchs Tal. Der Frieden könnte perfekter nicht sein.
Trotz ihrer Lage und ihres guten Erhaltungszustands – nach umfassender Restaurierung, versteht sich – kommen nicht viele Besucher hierher. Nur an Tagen wie heute herrscht ein wenig Betrieb – wegen des Festes unten im Ort. Das ganze Städtchen ist versammelt, es gibt Reden, Musik, Gedichte und natürlich etwas zu essen. Auf dem zentralen Platz ist ein kleiner Markt mit regionalen Spezialitäten aufgebaut, Herzhaftes und viel Süßes. Nach dem Wandern sind wir hungrig genug, um einiges auszuprobieren. Anderes stecken wir ein, für den Rückweg – man weiß ja nie…