Stadtrundfahrt per Straßenbahn
Weinkennern ist Bordeaux natürlich ein Begriff, vielleicht auch noch Freunden der Bordeaux-Dogge. Aber die Stadt? Kennt die jemand? Für uns ist sie der Auftakt einer Zugreise nach Portugal – sie liegt sozusagen auf dem Weg. Aber sie wäre auch einen Umweg wert.
Als wir am Bahnhof von Bordeaux aus dem Zug steigen, stehen noch die Pfützen vom letzten Sommerregen, alles glitzert wie gewienert. Unser Gastgeber hatte uns eingeschärft, gleich vor dem Bahnhofsgebäude in die Straßenbahnlinie C zu steigen und an der Esplanade des Quinconces in die Linie B zu wechseln bis zur Haltestelle Musée d’Aquitaine. Das klingt nach großen Entfernungen. Wir stellen uns darauf ein und halten die Augen offen.
An den Fenstern der Tram ziehen stattliche Gebäude vorbei, Sandsteinmauern leuchten honiggelb im Sonnenlicht. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir ein Flussufer samt prächtiger Brücke und folgen dem lehmbraunen Strom – wie heißt der noch? Ach ja, Garonne! Die Esplanade des Quinconces steht voller Bäume, unter deren Dach wir die nächste Bahn besteigen. Um uns herum wird die Architektur immer gewaltiger. In elegantem Bogen umkurven wir schließlich eine geräumige Kirche – die Kathedrale von Bordeaux, wie sich herausstellt – und sind kurze Zeit später am Ziel.
Gastgeber Louis, Franko-Amerikaner und in beiden Muttersprachen akzentfrei zu Hause, wartet schon und zeigt uns die Wohnung. Auf dem Küchentisch eine Flasche Bordeaux, wie sich das gehört, die Zimmer klein, aber fein. Später erscheint Louis erneut, unter dem Arm einen Fotoband der Stadt. Es folgt eine kleine, lebendige, sehr persönlich gefärbte Bordeaux-Kunde mit manchen Abschweifungen.
Wie uns die Fahrt mit der Straßenbahn gefallen habe, fragt er zwischendurch. Eine halbe Stadtrundfahrt, entgegnen wir. Das war auch so gedacht, sagt er grinsend, der Bahnhof ist eigentlich ziemlich nah, aber so seid ihr schon ein bisschen rumgekommen. Für Bordeaux, das müssen wir zugeben, gibt es keinen besseren Einstieg, als erst mal ein bisschen mit der Tram im Kreis zu fahren.
Ein ganzes Stadtzentrum als Weltkulturerbe
Louis geht noch mit uns auf die Straße, zeigt den Weg zum nächsten Supermarkt und zur Rue St. James – Restaurants en masse, da findet ihr bestimmt was Passendes –, dann überlässt er uns dem lauen Sommerabend.
Touristen verraten sich bekanntlich dadurch, dass sie an jeder zweiten Ecke stehen bleiben, um sich zu zurechtzufinden. In Bordeaux fällt die Orientierung relativ leicht. Zwar prahlen die örtlichen Touristiker, dass die UNESCO hier gleich das ganze Stadtzentrum zum Weltkulturerbe erklärt hat, aber der historische Kern zwischen Place de la Victoire im Süden und Esplanade des Quinconces im Norden ist doch so übersichtlich, dass kaum Gefahr besteht, sich zu verlaufen.
Im Osten fließt die Garonne, im Westen steht die kolossale Cathédrale St.-André und mitten durch Bordeaux‘ Altstadt hindurch führt die Haupteinkaufsstraße Rue Sainte-Catherine. Ob deren Fußgängerzonen-Flair mit den Logos der üblichen Ladenketten wirklich sehenswert ist, muss jeder selbst entscheiden. Immerhin taugt sie gut als Anhaltspunkt, besonders wegen der Place de la Victoire an ihrem südlichen Ende.
Die ist schon von weitem leicht an der Porte d’Aquitaine erkennbar. Das Stadttor – 18. Jahrhundert, Stil: römischer Triumphbogen – steht verwittert und trotzig mitten auf dem Platz. Den muss es sich allerdings seit 2005 mit einem modernen Obelisken und zwei Bronzeschildkröten teilen, die mit ihren Traubengehängen und Miniaturfiguren die örtliche Weinkultur feiern. In den Bars und Cafés drum herum sitzen vor allem Studenten der umliegenden Universitätsinstitute.
Marktbetrieb mit Schokokuchen
Ganz in der Nähe, nur wenige Fußminuten Richtung Fluss, liegt eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Bordeaux: der Marché des Capucins. Das Marktgebäude ist an Hässlichkeit kaum zu überbieten, dafür herrscht an den Ständen vor allem vormittags gewaltiger Betrieb. Als wir ankommen, hüpft gerade ein Lieferant aus dem Hemd, weil ein Flic ihm einen Strafzettel wegen Falschparkens verpasst hat. Der Mann schreit und gestikuliert, der Polizist versucht’s mit Erklärungen und am Ende ist es fast ein Wunder, dass keine Fäuste fliegen.
Die Auslagen der Marktstände sind eine einzige Versuchung. Fisch und Käse in allen Varianten, Wachteln und sonstiges Getier, bunte Arrangements aus Obst und Gemüse lassen die Augen überquellen. An einem einfachen Stand mit frischem Brot probieren wir ofenwarme Schokoladenküchlein – schon zuckt die Hand zur Brieftasche.
Erfrischung vor absolutistischer Kulisse
Bordeaux‘ Hingucker par excellence ist die Place de la Bourse mit dem Miroir d’eau. Der absolutistische Prunk der Platzanlage, ehemals Sitz der Hafenbörse, muss auf die ankommenden Handelsschiffe aus aller Welt geradezu einschüchternd gewirkt haben. Heute inszeniert die Stadt die palastähnliche Architektur zusätzlich durch einen Brunnen, dessen feiner, bodennaher Nebel das Gebäudeensemble gleichsam auf weißen Kissen schweben lässt.
Das sieht umwerfend aus und ist besonders an heißen Sommertagen ein erfrischender Spaß für Kinder, Familien, Liebespaare und natürlich Bordeaux-Besucher. Wenn der Brunnen inaktiv ist, gleicht er einer spiegelnden Fläche. Kaum aber versprühen die vielen verborgenen Drüsen ihren Nebel, fangen sofort alle an zu hüpfen, zu tanzen oder – reflexartig – Selfies zu machen. Entsprechend magisch zieht der Miroir d’eau die Menschen an.
Der Brunnen ist Teil einer aufwändig gestalteten Uferromenade, die sich über mehrere Hundert Meter am Ufer der Altstadt von Bordeaux entlang zieht. Im Süden begrenzen die 17 eleganten Bögen der Pont de Pierre das Blickfeld. Sie war seinerzeit die erste feste Brücke über Garonne – angesichts der schwierigen Strömungsverhältnisse eine echte Leistung. Lokale Bedenkenträger soll Auftraggeber Napoleon vor Baubeginn mit der Bemerkung „Impossible n’est pas français!“ abgekanzelt haben – für einen Franzosen ist nichts unmöglich!
Glanzvolle Metropole am braunen Fluss
Ganz unbegründet waren die Zweifel am Gelingen des Brückenbauprojekts nicht: Die Nähe des Atlantiks und das Hin und Her der Gezeiten mit Pegelschwankungen bis zu sechs Metern bringen die Garonne so in Wallung, dass der Schlick vom Flussgrund nie zur Ruhe kommt. Das erklärt die schlammige Farbe des Wassers. Am Ende jedoch sollte Napoleon Recht behalten, auch wenn er den Bau nicht mehr selbst erlebt hat. Heute führt die Brücke in die östlichen Stadtteile von Bordeaux und weiter in das Hügelland zwischen Garonne und Dordogne, von Flaschenetiketten auch bekannt als Weinbaugebiet Entre-deux-Mers.
Mehr als 350 historische Monumente zählt Bordeaux. Die Zahl sagt viel darüber aus, was Besucher der Altstadt erwartet. Vor allem Fußgänger können sich hier nach Lust und Laune austoben. Alle Nase lang stoßen sie auf versteckte Plätze, altehrwürdige Kirchen oder wuchtige Stadttore wie die Porte Cailhau oder die Porte Saint-Eloi (ehemaligs der Rathausturm). Wenn das Wetter mal nicht mitspielt, bieten sich die vielen Museen als Ausweichmöglichkeit an. Mit gleich vier Kunstmuseen setzt Bordeaux einen deutlichen Schwerpunkt. Regionalhistorisches fasst das Musée d’Aquitaine zusammen, ergänzt um eine eigene Ausstellung zur Geschichte der französischen Résistance.
Bordeaux ohne Kriegsschäden und Oberleitungen
Die museale Sonderschau beantwortet zugleich eine Frage, die wir uns von Beginn an gestellt haben: Gab es hier überhaupt keine Kriegsschäden? Es gab sie nicht, weil sich der zuständige deutsche Divisionskommandant gegen alle Befehle aus Nazideutschland mit Vertretern der örtlichen Résistance auf einen kampflosen Rückzug einigte. Deshalb wirkt Bordeaux heute wie aus einem Guss, Klassik und Klassizismus in Reinkultur und seit zwei Jahrhunderten praktisch ohne „Stilbruch“, wie die Stadtverwaltung stolz verkündet.
Trotzdem sieht (noch) nicht alles aus wie geschleckt. Manche Häuser sind vernachlässigt, die Balkongitter verrostet, dann wieder gibt es Blumenbalkone wie Farbtupfer. Patina neben sandgestrahlten Mauern, wo Geld da ist (überwiegend in der nördlichen Altstadt), wird renoviert, wo nicht, wird gewohnt, wie es gerade geht – das macht besonders die Nebenstraßen interessant. Nur ganz selten platzt mal ein Betonklotz in die Szenerie, ein Parkhaus oder sonst eine Bausünde, aber auch das wird irgendwie absorbiert.
Sogar die Straßenbahn nimmt auf das einheitliche Stadtbild Rücksicht: In der Innenstadt fährt sie ohne Oberleitung. Allerdings war das alternative Antriebssystem – eine zusätzliche Schiene am Boden für die Stromversorgung – anfangs sehr störanfällig, besonders nach Regengüssen kam es regelmäßig zu elektrischen Defekten. Wir merken nichts mehr davon, gleiten ohne Komplikationen durch Straßen und Pfützen und finden Bordeaux ohne Oberleitungen noch schöner.
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Bordeaux auf einen Blick
In Bordeaux hat die UNESCO gleich mehrere Quadratkilometer zum Weltkulturerbe erklärt. Trotzdem ist die Altstadt wie gemacht für Streifzüge zu Fuß: Die Orientierung fällt leicht und das historische Zentrum ist so kompakt erhalten wie kaum irgendwo sonst. Woran liegt das? Warum ist das Wasser der Garonne so braun? Und wo ist am meisten los? Diese Gebrauchsanleitung für Fußgänger gibt Antworten…