Leave nothing but footsteps …
In der Reihe unserer Mexiko-Artikel geht es nach dem Bericht über die Megametropole Mexiko-Stadt zu einer ganz kleinen Großen: Isla Holbox. Auf der nur aus Sand bestehenden Insel treffen meine Erlebnisse zu Lorenz’ Überlegungen zum Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung.
Leave nothing but footsteps, take nothing but photographs.
Der Spruch hat auch im Jahr 2017 noch seine Gültigkeit. Doch reicht ein solches Bekenntnis heutzutage noch aus, um nachhaltig zu reisen? Fernreisen sind einfach zu einfach geworden. Fliegen in der Holzklasse wird zwar immer unbequemer, aber es ist noch viel zu billig. 4.177 kg CO2 emittiert ein Fluggast auf der Strecke Berlin–Cancun–Berlin. Diesen Ausstoß zu kompensieren, hat mich persönlich 97 Euro gekostet.
Noch funktioniert dieser moderne Ablasshandel auf freiwilliger Basis. Wenn man sich das Gewusel auf internationalen Flughäfen wie Atlanta, Paris CDG und Amsterdam anschaut fragt man sich, ob überhaupt noch jemand zu Hause ist. Ich versuche mir vorzustellen, wieviele von den 460 Fluggästen allein in unserer Boing 777 sich aktiv mit diesem Thema befassen und fühle mich ganz klein.
Wie gut, dass Organisationen wie MyClimate.de oder Atmosfair den Kampf mit der fliegenden Sauerei aufnehmen. Mit den Kompensationsbeiträgen der klimabewussten Reisenden unterstützten sie Klimaschutzprojekte auf der ganzen Welt. Zum Beispiel saubere Öfen in Ruanda, Solar- und Wasserkraftwerke in Äthiopien und Südamerika, Biogasanlagen in Indien und vieles mehr. Wenn ihr euch unter den CO2-Zahlen mengenmäßig wenig vorstellen könnt:
Die Pro-Kopf Jahresemission in Indien beträgt 1.600 kg, 1 Jahr Autofahren mit einem Mittelklassewagen, bei 12.000 km schlägt mit 2.000 kg CO2 zu Buche und das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen liegt bei 2.300 kg.
(Quelle: atmosfair.de)
Die Isla Holbox (gesprochen: Hol-Bosch) liegt vor dem nordöstlichen Zipfel der Halbinsel Yucatán, am Golf von Mexico. Zu erreichen ist das knapp 56 Quadratkilometer kleine Eiland nur über eine Fähre. Der Vorteil: Zumindest die Sauftouristen schaffen es meist nicht herüber vom mexikanischen Miami-Ballermann Cancun. Isla Mujeres, einst verträumtes Hängematten-Paradies vor Cancun, ging auf diese Weise schon verloren. Ihr Pech ist, sie liegt so nah am Festland, dass sie mittlerweile vor Tagestouristen absäuft.
Auch Isla Holbox liegt auch nicht weit vom Festland entfernt. Nur 30-40 Minuten dauert die Überfahrt. Doch versteckt sie sich auf der anderen Seite eines Naturschutzgebietes, das die gesamte Spitze der Halbinsel Yucatán einnimmt. Und alle, die zum Fähranleger wollen, müssen das Naturschutzgebiet weiträumig umfahren. Die Anreise will also genau geplant sein. Und wer die letzte Fähre des Tages verpasst, bleibt für eine Nacht in Puerto Chiquilá hängen.
Inselleben auf Isla Holbox
Auf der kleinen Sandinsel am Golf von Mexiko konzentriert sich alles Leben in dem kleinen Ort. Die meisten Gäste bewegen sich zu Fuß oder mit Leihfahrrädern vorwärts. Fahrräder sind auch bei den Einheimischen beliebt, noch viel cooler sind motorisierte Zweiräder. Die Insel ist zwar weitgehend autofrei, doch mittlerweile düsen eine beträchtliche Anzahl von Golfkarts über die Schlaglochpisten aus gestampftem Sand. Sie fungieren als Taxiflotte, Packesel – und als Freizeitspaß.
Wir treffen einige Vitamin D-hungrige Nordeuropäer, Amis und Kanadier. Wie immer an solchen Orten gibt es Profi-Sonnenanbeter und Aktiv-Urlauber. Die einen werfen sich gleich nach dem Frühstück in die umgebauten Fischerboote und Hängematten, die anderen gehen schnorcheln, radeln oder wasserwandern. Denn das Wasser ist nicht nur so warm wie in einer Badewanne, es ist an der breiten Nordseite der Insel auch ungefähr so flach.
Abends lockt der Ortskern Einheimische und Besucher aus allen Ecken der Insel an. Wie sie schlendern wir durch die Straßen und in die örtlichen Etablissements. Eiskaltes Bier und heiße Tacos schmecken nach Sonnenuntergang einfach himmlisch. Das „Ceviches la Chingada“, ein kleiner Streetfoodwagen, der die besten Tacos der ganzen Insel serviert, hat zu dieser Zeit schon zu. Also geht es ins „Et Voilà“, eine Institution für mexikanische Steaks und raffinierte Sandwiches.
Hier spielen die „Hijos de la Calle“ regelmäßig Live-Musik, die Stimmung ist ausgelassen und der Besitzer sieht aus wie der mitteljunge Antonio Banderas. Die hausgemachte Salsa ist auch scharf. Man bleibt gerne, auch wenn der Teller lange leer gegessen ist. Zu späterer Stunde können mutige Rampensäue – angefeuert durch die First Lady des Hause – das Mikrofon ergreifen. 3x dürft ihr raten, ich habe nicht gesungen.
Vergänglichkeit und Erinnerung
Auch im Paradies währt das menschliche Leben nicht ewig. Am Cemetario von Holbox spielen Leben und Tod mit ihren beiden Lieblingswerkzeugen, Vergänglichkeit und Erinnerung. Der kleine Friedhof liegt gleich oberhalb der Punta Cocos. Die Einheimische, die ich am Ortsausgang nach dem Weg frage, schaut mich erstaunt an. Ich bedanke mich und radel weiter.
Wie soll ich ihr erklären, dass mich auf Reisen auch interessiert, wie in der jeweiligen Kultur der Verstorbenen gedacht wird. Einem solchen Gespräch fühle ich mich mit meinem Babyspanisch noch nicht gewachsen. Außerdem ist es schon wieder so heiß, dass die Zunge am Gaumen klebt.
Keine 500 Meter nach dem Ende der Flugbahn des winzigen Flughafens bin ich da. Außer mir keine Menschenseele. Nur Leguane sonnen sich in der Mittagshitze oder laufen zwischen den verblichenen Fotos der Verstorbenen umher. Ich setze mich auf einen Stein in den Schatten und sauge die Farben in mich auf.
Als es fast unmittelbar neben mir raschelt, gruselt es mich trotz gleißenden Sonnenlichts. Ist hier doch noch jemand außer mir? Jenseits der Friedhofsmauer breitet sich eine riesige Müllkippe aus. Elektrogeräte, Autos und Berge von Plastik – so weit das Auge reicht.
Ist das jetzt makaber oder pragmatisch, die beiden so dicht nebeneinander zu bauen? Ich bin gegen meinen Willen beeindruckt, bevor mich der Schock darüber, wie unfassbar viel Abfall allein hier lagert, fast vom Fahrrad haut. Was tun wir Menschen nur? Was wir unserem Planeten hinterlassen, auch wenn wir schon längst nicht mehr sind… in solchen Momenten sieht man es Kreuz auf Kühlschrank.
Hat das Paradies eine Zukunft?
Auf Holbox leben fast alle Bewohner (in)direkt vom Tourismus. Es gibt noch viele Fischer, die jeden Morgen mit ihren kleinen Booten rausfahren. Noch sind die Straßen auch gegen Ende der Hochsaison vergleichsweise leer. Die Strände haben Platz für alle. Am Ende des langgezogenen Nordstrandes, zwischen Punta Mosquito und Cabo Catoche, waten der Mann und ich meist ganz allein durchs badewannenwarme Wasser. An Land hingegen fallen uns zahlreiche Schilder von Immobilienhändlern ins Auge.
Yucatánhomefinders bewirbt das „Residential Land“ mit den Worten „best hidden secret Mexicos“. Nun ja. Von einem Holbox-Fan aus den USA habe ich gehört, eine einheimische Familie habe im Affekt Land an einen großen US-amerikanischen Konzern verkauft. Als ihnen das Angebot unterbreitet wurde, haben sie sich vom Duft des Geldes hinreißen lassen. Kaum war die Tinte trocken, bereuten sie ihre Entscheidung.
Wer im Paradies lebt, braucht kaum Geld. Es gibt ohnehin wenig zu kaufen. Der Duft des Meeres und Lebensfreude sind ohnehin unbezahlbar. Nicht nur ich wünschte, die vom Kapitalismus Verführten könnten ihre Entscheidung rückgängig machen. Doch ich gehe davon aus, bei meinem nächsten Besuch eingezäunte Edelherbergen und Golfplätze zu sehen, auf denen livriertes Personal, Klimaanlagen und Rasensprenger ihren Dienst tun.
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Service
Ihr wollt auch einmal ausrechnen, wieviel CO2 ihr auf einem Flug emittiert? Das könnt ihr unter anderem bei Atmosfair. Wenn ihr danach immer noch Lust auf Fernreisen habt: Der nächste Flughafen ist Cancun. Von da aus geht es entweder einen Bus oder ein Taxi bis nach Chiquilá. Günstig und komfortabel reist ihr mit dem staatlichen Busunternehmen ADO.
Die Taxis profitieren davon, dass viele Neuankömmlinge noch ungebremst ihre Preisvorstellungen von zuhause mitbringen und kassieren entsprechend horrende Preise. Einige Unterkünfte bieten auch einen Shuttleservice vom Flughafen zur Insel an, auch das ist wesentlich teurer als Busfahren. Die Karten für die Fähre kauft ihr direkt am Hafen, Zeiten unter anderem bei Ferrylines.