Kalifornien: der Obstkorb der Welt
Dieser Tage denke ich viel an die Vereinigten Staaten von Amerika. Die US-Präsidentschaftswahl 2016 steht unmittelbar bevor. Allein das ist, vorsicht Kalauer, zum Wein(en). Auch meine jüngsten Gespräche mit Kerstin Kaernbach und Anke Biendarra zum Thema Reisen und USA haben meine Erinnerungen die letzte Kalifornien-Reise wieder wachgeküsst.
Kalifornien. Einst war der Sonnenstaat berühmt als „Fruit Basket of the World“. Obst, Mandeln, Doch die Tage scheinen gezählt. Seit 2011 leidet der Sonnenstaat unter anhaltender Trockenheit. Längere Dürreperioden sind durchaus normal für die Region, doch mit den gestiegenen Temperaturen (Klimawandel lässt grüßen), spricht man nun von „heißen Dürren.“
Als ich in San Francisco lande, ist April. Das Wetter ist launisch. Warm und windig in der Bay, kalt und regnerisch in Yosemite. Westlich des San Joaquin Valley, das zwischen der Sierra Nevada und der Pazifikküste liegt, ist es in jenem April bereits versteppt wie früher höchstens im Hochsommer. Gemeinsam mit Freunden aus Fresno geht es den States Highway 41 hinab. Unser Ziel ist El Paso de Robles.
Die kleine Stadt im San Luis Obispo County, kurz Paso Robles, hat sich trotz der Dürre zu einem „Experimentierfeld für Weinfreaks“ gemausert. So schreibt der Merian über die am schnellsten wachsende Weinregion Kaliforniens. Nirgendwo sind die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht so groß, ein Umstand, der die Weine besonders aromaintensiv und komplex werden lässt.
Für die Herstellung eines Glas Weins braucht es anscheinend Unmengen Wasser. Ich lese Zahlen zwischen ca. 120 Liter pro Glas und 960 Liter pro Liter Wein. Zum Reifen der Trauben braucht die Weinpflanze Wasser, im Zuge der Produktion müssen die Geräte gespült werden, Tanks, Schläuche und Pressen, Kelter, Pumpen und Fässer. Von der Reinigung der Flaschen ganz zu schweigen.
Im neuen Wein-Mekka ist von der Dürre erstaunlich wenig zu merken. Zumindest die Anwesen der Winzer erstrahlen in saftigem Grün. Beliebt sind hier Cuvée aus roten Trauben wie Syrah, Petite Syrah, Cabernet Sauvignon und Zinfandel, der kalifornischen Traube schlechthin. Die Dürre spukt uns im Kopf herum, das schlechte Gewissen – wir sind mal wieder Teil des Wahns, den wir kritisch beäugen – wächst ganz ohne Wasser. Doch nun sind wir hier und wollen auch probieren.
Winetasting | Erster Stopp bei Gary Eberle
Gary Eberle zählt zu den Pioniere in Paso Robles. 1973 kam der hochgewachsene kräftige Mann mit deutschen Vorfahren, der in der High School natürlich Football spielte, aus Pennsylvania her. Ende der 1970er kaufte er sich Land und erregte bereits 1979 mit seinem Cabernet Sauvignon große Aufmerksamkeit in der Szene.
Sein Weingut liegt nahe des kleinen Flughafens, als wir uns der Stadt von Osten auf der 46 nähern, fahren wir direkt drauf zu. Heute tragen viele Weine die Handschrift von Chris Eberle. Der Sohn ließ sich in der ganzen (Wein)Welt von Südafrika und Deutschland bis nach Australien und Neuseeland inspirieren, bevor er schließlich in die kalifornische Heimat zurückkehrte.
Wie entscheidet man sich bei über 150 Weingütern dafür, welche man besucht und wie man verkostet? Wir begegnen der Reizüberflutung, indem wir unsere Tour in unmittelbarer Nachbarschaft fortsetzen. Auch hier versuchen die Winzer eine geschmackliche Brücke zu kreieren, indem sie europäische Weintradition mit den spezifischen Möglichkeiten der Region amerikanisch interpretieren.
Winetasting zweiter Stopp Vina Robles
Schick und einladend geht es auch bei den Nachbarn zu. Wir probieren uns durch Weißweine und Rotweine, die allesamt überzeugen. Mein ganz besonderer Geschmackshöhepunkt und die größte Überraschung, ein Tawny Portwein, der schmeckt wie direkt aus dem Douro-Tal. Davon nehme ich sogar eine Flasche mit für den Mann zuhause, immerhin ist er es, der mir den portugiesischen Port einst schmackhaft gemacht hat.
Nach den Tastings wollen wir unbedingt weiter an die Küste, die Big Sur Coast, uns frischen Wind um die Nase wehen lassen. Also fahren wir die 46 weiter gen Westen und wechseln kurz vor Cambria auf den berühmten Highway No. 1.
Kalifornien | Abstecher nach Hearst Castle
Der Highway No. 1 verläuft in nord-südlicher Richtung an der Central Coast, zwischen San Simeon und Carmel heißt der Abschnitt „Big Sur Coast“. Als wir den Seelöwen so beim feisten Rumliegen zuschauen, bekommen wir Appetit auf noch mehr Wildlife. Gibt es in San Simeon, auf den riesigen Gelände von Hearst Castle, nicht sogar Zebras?
Der Besuch von „Hearst Castle“, dem Anwesen des ehemaligen Zeitungsmagnaten William Randolf Hearst (1863 – 1951), ist wie eine sorgfältig choreografierte Zeitreise in die Dekadenz einer vergangenen Epoche. Wir erwischen die letzte Tour des Tages. Vom Besucherzentrum aus werden Schaulustige die Hügel hinauf geshuttelt, vorbei an weidenden Rindern, grasenden Pferden – und tatsächlich Zebras. Vor Schreck vergesse ich einmal mehr, ein Foto zu machen.
Vor dem Anwesen werden wir ausgekippt und blinzeln in die Abendsonne. Erstmal orientieren. Ich fühle mich tatsächlich ein bisschen wie im Hollywood der 1920 Jahre, bis die ersten Schauspieler in Kostümen an uns vorbei wackeln. Dennoch lohnt sich ein Besuch und die Führung ist sehr gut. Wir erfahren viel aus dem Leben des ebenso glamourösen wie disziplinierten Menschensammlers Hearst.
Der Palast, von dem aus er die Geschicke seines Imperiums lenkte, war gleichzeitig eine zentrale Begegnungsstätte für alles, was Rang und Namen hatte. Der Nachrichtenmacher, immer auf der Suche nach den besten Geschichten, ließ sich auch privat regelmäßig durch seine illustren Gäste inspirieren. Und er interessierte sich für schöne Dinge ebenso wie für Menschen. Entsprechend opulent hat der Architekt Julian Morgan das Anwesen auf dem Hügel von San Simeon gestaltet.
Das mit der Dürre behalten wir im Auge. Und wünschen Kalifornien ein gutes Händchen in der Bewältigung seiner sicher größten Herausforderung. Wie desaströs es vor dem Hintergrund der real existierenden Probleme wäre, wenn Realitätsverweigerer und Leugner des Klimawandels wie Präsidentschaftskandidat Trump sich tatsächlich durchsetzen… Oh je. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt. In einigen wenigen Tagen schon wissen wir mehr.