Der Nelson Mandela Gateway
Schon von weitem ist der Nelson Mandela Gateway zu erkennen. An der Fassade hängt eine riesige Fotografie Mandelas, die ihn als Gefangenen auf Robben Island zeigt. Das Bild stammt aus den 1960er Jahren, noch ganz zu Anfang seiner Gefängnisstrafe. Danach gab es lange Zeit keine Bilder mehr. Als er nach 27 Jahren aus der Haft entlassen wurde, war er grau und abgemagert, aber sein herausragendstes Kennzeichen war und blieb sein aufrechter Gang.
Der Nelson Mandela Gateway ist ein touristischer Hotspot, aber es sind vor allem südafrikanische Touristen, die sich dort einfinden, darunter ganze Schulklassen. Sie haben dasselbe Ziel wie wir: Robben Island, die berüchtigte Gefängnisinsel. Der Fährableger ist zugleich ein kleines Museum, in dem große Foto- und Texttafeln die Geschichte des Anti-Apartheidskampfes erzählen. Sie sind eine gute Einstimmung auf das, was uns erwartet.
Nicht mehr als ein Katzensprung
Nur eine halbe Stunde dauert die Fährüberfahrt nach Robben Island. Die Fahrt lohnt sich schon allein wegen der spektakulären Blicke auf Kapstadt und das restaurierte Werft- und Hafenviertel Victoria & Alfred Waterfront mit dem historischen Uhrenturm. Auch ein paar Kutter und angerostete Hafenkräne sind zu sehen.
Zu unserem Glück klart das Wetter auf, die See schimmert grün und der Tafelberg ist trotz seiner „Tischdecke“ aus wattigen Wolken gut zu sehen. Linkerhand passieren wir das Kapstädter Stadion, seit der Fußball-WM 2010 ein neues Markenzeichen der Stadt. Der Wind bläst uns um die Nase, die Stimmung an Bord ist erwartungsvoll, und bald schon kommt die Insel näher.
Die sieht eigentlich ganz hübsch aus, ein flaches Eiland mit hübschem Leuchtturm – die Szenerie erinnert an eine x-beliebige Urlaubsinsel. Doch dann schieben sich die Wachtürme des Hochsicherheitsgefängnisses ins Blickfeld. Am Hafen erinnern uns große Plakatwände, worum es hier geht: Unterdrückung, Befreiung, Auferstehung.
Ehemalige Wärter und Gefangene Tür an Tür
Die Besichtigung dieses Nationaldenkmals ist gut organisiert. Gelenkbusse nehmen die Fährenpassagiere auf, jeder zeigt sein Ticket und findet seinen Platz. Unser Guide heißt Wendy. Sie sieht aus, als wäre sie gerade eben dem Musical „Hair“ entsprungen. Was sie erzählt, während sich der Bus in Gang setzt, ist in der Tat haarig, aber in existentiellem Sinne.
Wir hören von Leprakranken, die auf Robben Island ausgesetzt wurden und gestorben sind, von Kriminellen, die hier inhaftiert wurden, überhaupt von der langen Karriere der Insel als Gefängnis. Natürlich gab es Fluchtversuche, die größtenteils scheiterten, obwohl Kapstadt und der Tafelberg zum Greifen nah erscheinen. Alle, die hierher verbannt wurden, hatten diese atemberaubend schöne Küsten-Szenerie wie eine Fata Morgana ständig vor Augen.
Wendy erzählt uns von dem Dorf auf Robben Island. Es gibt eine Schule, einen Supermarkt, eine Krankenstation. Polizei gibt es nicht, mangels Kriminalität. Das Erstaunlichste: Hier leben ehemalige Wärter und Häftlinge friedlich als Nachbarn zusammen, wie Wolf und Schaf. Die nationale Versöhnung, die Nelson Mandela seit 1991 predigte, scheint in diesem kleinen Kosmos tatsächlich gelungen. Darauf ist Wendy stolz – sie lebt übrigens auch hier.
Robben Island University
Ein unscheinbarer Kalksteinbruch ist der wichtigste Fotostopp. Hier schufteten Nelson Mandela und andere hochrangige politische Gefangene tagaus, tagein, indem sie an einem Tag den abgeklopften Kalk hierhin karrten und am nächsten Tag dorthin. Aber das Apartheid-Regime hatte nicht mit dem Rückgrat der Häftlinge gerechnet. In der Höhle, die gleichzeitig als Pausenraum und Toilette diente, unterrichteten sie sich gegenseitig – und schufen auf diese Weise das, was im Volksmund später Robben Island University genannt wurde.
Von der Arbeit mit dem Kalk zogen sie sich Hautkrankheiten zu, ruinierten sich im grellen Sonnenlicht die Augen. Nicht nur Nelson Mandela litt bis zu seinem Lebensende an einem Augendefekt – er konnte keine Tränenflüssigkeit mehr bilden. Bei einem historischen Treffen ehemaliger Häftlinge 1995 stand auch dieser Kalksteinbruch auf dem Programm. Die Besucher hinterließen einen Steinhaufen, isisivane genannt, zur Erinnerung an die demütigende Zwangsarbeit und den Zusammenhalt der Gefangenen. Bei diesem Treffen wurde auch vereinbart, aus dem Gefängnis, in dem zu dieser Zeit immer noch Straftäter einsaßen, ein Nationalmuseum zu machen.
Rassismus, Demütigung, Zwangsarbeit
Der Bus setzt uns am Hochsicherheitsgefängnis ab. Im MSP – Maximum Security Prison – erwartet uns Dede Ntsoelengoe. Er kennt sich gut aus, denn er hat sieben lange Jahre auf Robben Island verbracht, von 1984 bis 1991. Sein Vergehen: schwarze Hautfarbe und Mitgliedschaft im African National Congress (ANC), der heutigen Regierungspartei. Das allein reichte für den Vorwurf der Sabotage aus. Der galt ohnehin für die meisten, die hier weggesperrt wurden.
Während der Haft bestand Dedes Welt aus der Sammelzelle in Block F2, in der heute Touristen an seinen Lippen hängen. 5 Uhr wecken, 6.30 Uhr Frühstück, 7 bis 15 Uhr Zwangsarbeit, 15.30 Uhr Abendessen, 17 Uhr Verriegelung der Zellen, 21 Uhr Licht aus – nüchtern rekapituliert er den Gefängnisalltag.
Zwangsarbeit bedeutete: Steinbruch, Holz fällen, Straßenarbeiten mit Pickel und Schaufel, Seetang sammeln. Es war üblich, dass die Gefängniswärter die Häftlinge schlugen. Der rassistische Essensplan sah vor: 4 Unzen Maisbrei und 7 Unzen Fisch oder Fleisch pro Tag für weiße Häftlinge, 14 Unzen Maisbrei pro Tag und 6 Unzen Fisch oder Fleisch pro Woche für „Coloureds“, 12 Unzen Maisbrei pro Tag und 5 Unzen Fisch oder Fleisch pro Woche für „Bantu“, also Schwarze.
Aber am Ende gab es auf Robben Island sowieso nur noch schwarze Häftlinge. Der jüngste von ihnen kam mit 15 Jahren hinter Gitter, er verließ die Insel 34-jährig. Die meisten Gefangenen waren Südafrikaner, bis 1985 saßen hier auch Freiheitskämpfer aus Namibia ein. Auf internationalen Druck, insbesondere durch die Bemühungen des Roten Kreuzes, wurden die Haftumstände ein bisschen erleichtert. 1974 erhielten die Sammelzellen Duschen, 1978 folgten Bettgestelle, die Gesundheitsversorgung verbesserte sich. Weiterhin jedoch starben Häftlinge an Tuberkulose und anderen, keineswegs unheilbaren Krankheiten.
Niemals vergessen
Warum er als Führer ins Gefängnis von Robben Island zurückgekehrt sei, wird Dede Ntsoelengoe gefragt. Um das alles zu erzählen, damit es nicht vergessen wird, antwortet er. Um zu erzählen, dass Verwandte höchstens ein Mal im Monat nach Robben Island zu Besuch kommen durften und jeden Besuch bis zu einem Jahr vorher anmelden mussten. Aber wer konnte das bezahlen? Und was war eine halbe Stunde mit Panzerglas dazwischen und Radebrechen auf Afrikaans oder Englisch, denn andere Sprachen waren nicht erlaubt?
Dede Ntsoelengoe steht in der Wintersonne vor den rau verputzten Gefängnismauern und gibt dem Unrecht eine Stimme, ein Gesicht. Die Besuchergruppe drängelt durch Flügel B des Blocks mit den Isolationszellen, in denen Nelson Mandela, Walter Sisulu und andere politische Führer saßen. Ein Selfie vor Mandelas Zelle – für manche ist das offenbar ein Muss. Aber unbeeindruckt bleibt niemand – dank Dede Ntsoelengoe, der hier nicht nur seine Vergangenheit aufarbeitet, sondern gleich die des ganzen Landes.
Der Wind hat aufgefrischt, auf der Rückfahrt mit der Fähre erwartet uns robuster Wellengang bei strahlendem Sonnenschein. Voraus wogt der Tafelberg auf und ab, als wäre er selbst ein Kahn in schwerer See. Fotografieren wird zur Akrobatik – festhalten, der Gischt ausweichen und dabei die Hand ruhig halten. Das Panorama von Kapstadt – von Robben Island aus ist es noch umwerfender als sonst. Was für eine Ironie!
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- Taschenatlas der abgelegenen Inseln
- Bay of Islands und der Treaty of Waitangi in Neuseeland
- Kapstadt – Multikulti ohne Tamtam 1/3
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- Warme Weihnachten DownUnder
Service
Wenn ihr Robben Island nicht selbst besuchen könnt, geht diesen Weg. Die Seite bietet historisches Bildmaterial, O-Töne und viele Details auf einem virtuellen Rundgang.
Die Fähre nach Robben Island verkehrt mehrmals am Tag. Plätze sollten vorab gebucht werden, zum Beispiel in den städtischen Tourismusbüros.