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Kennedy oder ein Traum von Amerika
Kennedy oder ein Traum von Amerika

Kennedy oder der Traum von Amerika

FK ist Kult. JFK ist Pop. JFK ist everybody’s darling. Der 35. US-Präsident hat alles, was tragische Helden ausmacht. In Boston lebt dieser Mythos fort – in einem Strom eindringlicher Bilder und Inszenierungen. Zu Besuch im John F. Kennedy Museum.
Inhalt

Die Initialen einer Marke

Der Wahlkampf tobt. „Jack is on the right track“, singt Frank Sinatra hoffnungsfroh. Ein paar Schritte weiter intoniert die Clancy Hayes Dixieland Band ein schmissiges „Go vote Nixon“. In der originalgetreuen Kopie eines Chicagoer Fernsehstudios kämpfen die beiden Präsidentschaftskandidaten des Jahres 1960 um die Gunst der Wähler – es ist die erste TV-Debatte dieser Art in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

„Und deshalb, meine amerikanischen Landsleute: Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ Man spürt ihn noch heute, den Zauber, der von dem Mann mit dem Jungengesicht ausgeht. Große Worte, einfache Wahrheiten, eingebettet in dramatische Szenen, überhöht von hemmungsloser Idealisierung. Ein Pharao der Moderne, so kommt es mir vor, verherrlicht in einem Kenotaph, aus dessen schwerelos-weißer Architektur ein dunkel getönter Glaspavillon herausragt wie ein düsteres Schicksal: The John F. Kennedy Library and Museum, Boston, Massachusetts.

JFK, das sind Initialen, die den Stellenwert einer Marke haben. Ihre Stärke ist ihr menschliches Antlitz. An diesem Ort ist es allgegenwärtig. Es spricht von Verantwortung: „Der Mensch vereinigt in seinen sterblichen Händen die Macht, alle Formen menschlicher Armut zu tilgen und alle Formen menschlichen Lebens.“ Es spricht von Selbstvertrauen und Zuversicht: „Heute hat nicht eine Partei gesiegt, sondern die Freiheit.“ Es spricht von Visionen und Abenteuern: „Gemeinsam lasst uns die Sterne erforschen, die Wüsten erobern, Krankheiten ausmerzen, die Tiefen des Ozeans erschließen und Künste und Handel fördern.“

Kennedy oder ein Traum von Amerika
„JFK library Stitch Crop“ von Fcb981 – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons – http://bit.ly/1z2GFfN

Sätze wie in Stein gemeißelt

Tausend Tage voller Neuanfänge, tausend Tage voll des Versprechens: Was eben noch wie die übliche Werbeprosa einer Museumsbroschüre klang, wird plötzlich greifbare, ja ergreifende Realität. Voller Betroffenheit beobachte ich auf einem Bildschirm, wie der Präsident sichtlich erschüttert Martin Luther King lauscht und dessen Traum von einer Welt ohne Rassenschranken – „I have a dream“. Bewundernd streicht mein Blick über ein kostbares Seidenkleid der schönen, vielleicht schönsten First Lady Jacqueline Kennedy. Stummes Entsetzen begleitet die mitleidlose Endlosschleife des Attentats von Dallas, effektvoll inszeniert in einem abgedunkelten Korridor.

„Wir feiern die Vergangenheit, um die Zukunft zum Leben zu erwecken“: Noch so einer dieser unvergesslichen Kennedy-Sätze, die aussehen wie gemeißelt. Und bei denen ich nie so recht weiß, was sie eigentlich bedeuten. Dazu müsste ich im Übrigen den Kontext kennen, aber darum geht es nicht. Es geht um monolithische Worte für ein monolithisches Denkmal. The John F. Kennedy Library and Museum versteht das genannte Zitat als Auftrag. Die Bibliothek mit ihrer unübersehbaren Zahl an Dokumenten soll Schüler und Studenten – „die Führer von morgen“ – zu Diskussionen, Austausch und politischem Engagement anregen. Das Museum zelebriert eine eben erst vergangene Welt als Morgendämmerung der Geschichte, als „Mythos“ und „Vermächtnis“. Drei Theater, 20 Video-Präsentationen, 25 bühnenartige Installationen lassen den Besucher „aus erster Hand“ erleben, wie es damals wirklich – wirklich! – war.

Gegenwehr ist zwecklos

Ich gehe durch diese Schau wie durch eine Kathedrale. Besonders gelungen: die detaillierten Nachbauten von Räumen des Weißen Hauses. Glitzernde Kronleuchter, klassizistische Pilaster, rote Teppiche auf kühlem Marmorboden. Nichts fehlt, nicht einmal die Nippesfigur eines spätarchaischen Herakles auf dem Präsidentenschreibtisch im Oval Office.

Der Schreibtisch ist wuchtig und wunderbar verziert, sein Anblick aktiviert sämtliche Synapsen. Das Déjà-vu-Erlebnis ist gewollt. Zerstreut greift die Hand nach dem Museums-Flyer, den ich längst in irgendeine Jackentasche verbannt habe. Voilá! Das Deckblatt zeigt die gesuchte familiäre Oval-Office-Schreibtisch-Idylle. Im Bildhintergrund, höchst fotogen in Papieren blätternd: John F. senior. Vorne, stupsnasig aus einer geöffneten Tür im Korpus des Tisches blickend wie die Schokolade im Adventskalender: John F. junior. Das Foto sitzt tief im kollektiven Gedächtnis. Selbst wenn du es nie gesehen hast: Du kennst es!

Kennedy oder ein Traum von Amerika
„Flag at JFK Library“ von Eric Beato – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 2.0 via Wikimedia Commons – http://bit.ly/1CNy2YH

Durch und durch amerikanisch

JFK ist Kult. JFK ist Pop. JFK ist everybody’s darling. Überall gute Bilder, gute Botschaften. Sie sagen: Dies war ein Mensch aus Fleisch und Blut, aber einer, der besser war als wir alle. Egal, wo und wie er auftritt, er macht immer eine perfekte Figur. Auf der Segelyacht Victura, die er als Fünfzehnjähriger von seinen Eltern geschenkt bekam. Bei einer seiner Pressekonferenzen, die er als erster Präsident live übertragen ließ. Beim Anschneiden der Hochzeitstorte an der Seite seiner umwerfenden Frau. Während des nervenaufreibenden Krimis der Kuba-Krise, die um ein Haar in den Dritten Weltkrieg mündete. Bereitwillig lasse ich mich gefangennehmen, genieße den gruseligen Kitzel einer künstlich wiederbelebten, seltsam gedämpften Welt, die in all ihrer passionierten Vollendung etwas Untotes ausstrahlt. Und nur ganz allmählich regt sich jenes Misstrauen, das Europäer befällt, wenn alles so durch und durch amerikanisch ist: zu schön, um wahr zu sein.

Heroisierung mit Blick nach vorne

Am Ende des Museumsrundgangs, auf der Galerie des Glaspavillons, breitet sich – wohltuend nach der Bilderflut – Bostons weite Hafenbucht. Hier, vor diesem Panorama, wird alljährlich ein bemerkenswerter Preis verliehen: der „John F. Kennedy Profile in Courage Award“. Er ehrt Staatsbeamte und Politiker, die auch gegen massivsten Widerstand einflußreicher Interessengruppen demokratische Standfestigkeit bewiesen haben. Und plötzlich wird klar, warum es dieses Museum gibt, ja geben muss. Weil es den Traum von einer besseren Zukunft verkörpert. Weil es – immer noch, mehr denn je – für Aufbruch, Optimismus, politische Moral steht. Weil es ungeachtet aller heroisierenden Schönfärberei freiheitliche und demokratische Tugenden fördert. Die hauseigene Werbung – schon wieder! – bringt es vollmundig auf den Punkt: Inspiration, Mut, Hoffnung, verspricht sie, wird der Museumsbesucher mit nach Hause nehmen – als kostenloses Souvenir. Das ist ebenso anmaßend wie berechnend. Und es ist wahr.

„Ich freue mich auf ein Amerika“, hat John F. Kennedy einmal gesagt, „das seinen Respekt in der Welt nicht nur seiner Stärke, sondern auch seiner Kultur verdankt.“ Das ist der Traum von Amerika. Es ist gut, dass es ihn noch gibt. Wenigstens hier in diesem Museum.

Kennedy oder ein Traum von Amerika
„Kennedy-Rede-CTH“ von CTHOE – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons – http://bit.ly/17hwRIq

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Auf einen Blick

Kein Drehbuchautor hätte das toppen können: JFK war und ist eine Jahrhundert-Story. Das John F. Kennedy Museum in Boston spielt dieses Leben in einer Endlosschleife nach. Das ist so bewegend, weil jeder die Bilder kennt. Und auch, weil gerade dieser Präsident für einen Aufbruch steht, der immer noch die Verheißung einer besseren Zukunft verkörpert. Von den diversen Präsidentenmuseen in den Vereinigten Staaten kommt dieses dem Traum von Amerika am nächsten.