Metro dell‘ Arte – Kunst im Untergrund
Neapel ist eine einzigartige Stadt, denn hier sind sogar die U-Bahnhöfe eine Sehenswürdigkeit. Viele Bahnhöfe der Metro in Neapel wurden von großartigen Architekten zu spektakulären Raumerlebnissen inszeniert. Außerdem werden rund 200 Kunstwerke bedeutender zeitgenössischer Künstler in den Bahnhöfen der Metro-Linie 1 ausgestellt. Aus dieser Kombination von fantastischer Kunst und großartiger Architektur ist die Metro dell’ Arte in Neapel entstanden.
Die Metro dell’ Arte ist ein dezentral organisiertes Museum, dessen Ausstellungsflächen über das gesamte Stadtgebiet Neapels verteilt ist. Dieses Museum ist kein abgeschlossener Raum für die zeitgenössische Kunst, sondern vielmehr ein offen zugänglicher Parcour, der immer wieder dazu einlädt sich mit aktuellen Positionen der zeitgenössischen Kunst auseinander zu setzen.
Ganz nebenbei hat die Idee der Kunst U-Bahn dazu geführt, dass die Bahnhöfe der Metro in Neapel zu den schönsten in Europa gehören. Es lohnt sich also wirklich, in Neapel U-Bahn zu fahren. Teuer ist dieser Spaß auch nicht. Mit 3,50 Euro für ein Tagesticket bist Du dabei. Am besten steigst Du an der Stazione Garibaldi in die Metro, denn dieser U-Bahnhof ein außerordentlich verblüffender Auftakt zur Metro Art in Neapel
Stazione Garibaldi
Jahrzehnte lang war die riesige Piazza Garibaldi vor dem Hauptbahnhof in Neapel eine Monsterbaustelle. Denn der ganze Platz wurde nach Entwürfen des französischen Architekten Dominique Perrault ausgehöhlt und umgegraben. Der Aufwand hat sich gelohnt, weil es den Architekten gelungen ist dem ehemals unwirtlichen Platz eine Struktur und ein Zentrum zu geben. Dazu haben sie einen Teil der Piazza abgesenkt und diesen tieferliegenden Teil mit einer kühnen Dachkonstruktion überspannt, die entfernt an eine abstrakten Wald erinnert.
Von dieser Piazza führen freihängende Rolltreppen über 30 Meter in die Tiefe zum Bahnsteig der Metro. Woran erinnern diese fantastischen Treppen, die keinen Anfang und kein Ende zu haben scheinen? Sie könnten einem kafkaesken Alptraum entsprungen sein. Vielleicht ähneln sie aber auch den gespenstischen Labyrinthen aus Piranesis Carceri. Aber ganz bestimmt entführen sie den Reisenden für einen Moment in eine Science Fiction Kulisse und verwandeln den Mensch zu einem winzigen Protagonisten in einer technoiden Maschinenwelt.
Irgendwann endet auch die schönste Rolltreppe Welt. Und plötzlich stehst Du mitten in einer wartenden Menschenmenge. Die Koffer sind gepackt, fehlt eigentlich nur noch der Zug, damit die Reise starten kann. Aber warum bewegen sich diese Menschen nicht? Und warum eilst Du mit eiligem Schritt durch die Menschenmenge hindurch?
Ganz einfach, Du stehst vor einem großen Spiegel aus poliertem Stahl. Die wartenden Menschen sind darauf samtig aufgedruckt. Denn der Konzeptkünstler Michelangelo Pistoletto hat für die Piazza Garibaldi diese Spiegelbilder kreiert. Pistoletto sagt über dieses Werk, es sei eine Tür, die Kunst und reales Leben miteinander verbinde. Das ist gelungen. Die statischen Abbildungen des Kunstwerks und die bewegten, ständig wechselnden Reflektionen der realen Menschen, die den Raum durcheilen, koexistieren und durchdringen sich in diesen magischen Spiegeln.
Metro Station Universitá
Die Metro Station Universitá ist überwältigend poppig und knallig bunt. Gestaltet hat sie Karim Rashid, ein amerikanischer Designer mit ägyptischen Wurzeln. Der exotische Mix von Rashids Design passt zum Ort.
Die Universität Neapel wurde 1224 von Friedrich II gegründet. Friedrichs Wissensdurst hatte seine Wurzeln in der arabischen Wissenschaft, allerdings verwunderte sein intellektueller Austausch mit arabischen Gelehrten ganz Europa. Heute verschmilzt Rashids poppiges Design und abstraktes Formenalphabet Symbole der Wissenschaft mit Icons moderner Medien und organischer Exotik.
Der Bodenbelag der U-Bahn Station wird von feine Linien, pulsierender Endlosschleifen und Ornamente wie Möbiusbändern belebt und sieht aus wie ein bewegliches Netz. Das Gehen fühlt sich tatsächlich in etwa so an, wie der Spaziergang auf einem fliegenden Teppich. Vielleicht ist das ja eine tolle Metapher für die intellektuellen Wagnisse der Wissenschaft.
Besonders krass sind die heftigen Komplementärkontraste von Blau und Orange und Pink und Grün, die diese Metro Station in Neapel dominieren. Karim Rashid hat dem Minimalismus und der Diskretion ganz deutlich abgeschworen, denn diese Farben schreien.
Ist dieses Design massentauglich? Wären wir farbenblind, wäre eine graue Stadt in Ordnung, meint Rashid. Aber wir sind nicht farbenblind, unsere Augen können sogar über 16.000 Farben erkennen. Deswegen ermutigt uns der Designer: Leute, mehr Lust auf Farbe!
Was bringt der technologische Fortschritt? Wie werden Medien und das Internets Menschsein verändern? Wer profitiert von der 3. industriellen Revolution? Solche Fragen kreisen mir im Kopf, als ich diesem leuchtenden Icon-Himmel und damit dem Ausgang entgegen fahre.
Haltestelle Municipio – Knotenpunkt der Metro Neapel
Die Arbeiten an der Haltestelle Municipio haben viel länger gedauert als erwartet. Denn während der Schachtarbeiten sind Bauarbeiter auf den Hafen des antiken Neapolis gestoßen. Während langwieriger archäologischen Ausgrabungen wurden Kaimauern und Schiffe aus der Zeit des Kaisers Augustus entdeckt und für die Nachwelt konserviert.
Da die Bahnsteige der Metro weit unterhalb des antiken Hafens von Neapel liegen wird der Weg hinunter zu den Gleisen zu einem beeindruckenden Spaziergang durch die Geschichte der Stadt: Von der Gegenwart, durch die Antike und in die Gegenwart zurück. Für diese Wanderung durch die Jahrtausende haben die portugiesischen Architekten Àlvaro Siza und Eduardo Souto eine kühle unterirdische Piazza entworfen.
Metro Station Via Toledo
Der U-Bahnhof Via Toledo ist eine der neusten Sehenswürdigkeiten Neapels. Auch wenn Du nicht alle Haltestellen der Metro dell’ Arte abklappern möchtest, diesen Stop solltest Du auf jeden Fall einlegen.
Denn der baskische Architekt Oscar Tusquets Blanca hat eine fantastische Architektur der Metro Station Toledo geschaffen. Seine riesigen wasserblauen Hallen erzeugen die Vorstellung, in der Tiefe des Meeres zu schweben. Das ist auch genau so gemeint, denn die Metro-Station liegt tatsächlich unterhalb des Meeresspiegels.
In der Gestaltung der Haltestelle lässt sich dieser Übergang der Elemente von fest zu flüssig gut nachvollziehen. Die gelben Wände erinnern an das vulkanischen Tuffplateau, auf dem Neapel errichtet worden ist, die kleinen blauen Fliesen dagegen symbolisieren das Thyrenische Meer, an dessen Ufern Neapel liegt. Die lange Rolltreppe schneidet durch den Tuff und lässt uns in die immer dunkleren Tiefen des Meeres tauchen.
Ein ovaler Lichtschacht beleuchtet diese Rolltreppe mit Licht von der Piazza. Ganz Neapel ist untertunnelt von Wasserleitungen, Zisternen, Katakomben und versunkenen Stadtteilen. Schon die alten Griechen haben begonnen, die Erde unter der Stadt auszuhöhlen. Mit diesem Lichtschacht, den der Architekt Crater de Luz nennt, ist nun ein weiterer Brunnen in den Bauch von Neapel gegraben worden, so wie sie seit Urzeiten Brunnen tief in die Neapels gehöhlt worden sind.
Der südafrikanische Künstler William Kentridge hat die Mosaike im Eingangsbereich der Metro gestaltet, sie erzählen aus der Geschichte Neapels. Den Hintergrund bildet ein Stadtplan Neapels davor der singende Stadtpatron Gennaro und der Vesuv. Steht die rote Linie für das vergossene Blut, das die Stadtgeschichte durchzieht oder für feurige Lava des Vesuvs, der die Existenz der Stadt bedroht?
By the sea… you and me heißt die Arbeit des amerikanischen Künstlers und Theatermanns Robert Wilson, welche die Wände der Korridors, der zu den Bahnsteigen führt, mit leuchtenden Bildern eines Ozeans füllt. Ganz langsam bewegen sich die Wellen dieses unendlichen Meeres aus LED-Leuchten. Die Bauarbeiter, die die Tunnel für die Kunst Metro in Neapel gegraben haben werden mit Men at Work einem Digitaldruck auf Stein, der ein monumentales Foto der Bauarbeiten zeigt, geehrt. Produziert hat ihn Archeille Cevoli
U-Bahnhaltestelle an der Piazza Dante
Mitten in Neapel liegt die Piazza Dante. Die Metro-Station hat die italienischen Architektin Gae Aulenti gestaltet und dabei gleich den Platz neu strukturiert, ihre Vorbilder waren Gemälde von Giorgio de Chirico. Aulenti kombiniert moderne Glaspavillons mit der monumentalen Architektur des 18. Jahrhunderts und dem historistische Dante Denkmal. So gelingt es ihr, dass sich Vergangenheit und moderne Großstadt-Gegenwart visuell verzahnen.
Die Haltestelle “Piazza Dante“ beherbergt Werke von bedeutenden Künstlern der Gegenwart. So zitiert der Konzeptkünstler Joseph Kosuth für seine Leuchtschrift aus einem Werk Dante Alighieris. Im 3. Buch des Convivio, Gastmahl, geht es um die visuelle Wahrnehmung.
Jannis Kounellis ist ein Künstler der Arte Povera. Er greift in seiner Arbeit für die Piazza Dante das Motiv Reise auf. In seiner Installation hat er rostige Schienen auf Metallplatten geschraubt. In den Hohlräume zwischen Schienen und Metall stecken abgetragene Schuhe, Spielzeug-Eisenbahnen, ein alten Mantel und Hut. Dabei stehen Mantel und Hut für den Künstler.
Besonders beeindruckend sind Spiegelarbeiten des Konzeptkünstlers Pistoletto. Auf einem Spiegel beschreibt ein Netz aus schwarzen und roten Umrisslinien den Mittelmeerraum zwischen Italien und Afrika. Für Pistoletto zeigt dieser Spiegel den Ursprung der Zivilisation im orientalisch, afrikanisch und europäisch geprägten Mittelmeer. Neapel wird zum Nabel der Welt erhoben, Zivilisation aber wird als Amalgam verschiedener Kulturen verstanden.
Kräftige, lebendige Farben und geometrische Formen. Oder aber blauer Himmel, Sterne, Raketen und Planeten. Das sind die Zutaten für die farbenfrohe Wandinstallation von Nicola de Maria. Universelles Glück, ewige Liebe und Harmonie. De Maria bebildert Versprechen aus einem utopischen Drogenrausch der 60er Jahre.
Metro Station Museo Nazionale
Das Archäologische Nationalmuseum Neapel mit seinen sensationellen Sammlungen hat eine eigene Metro-Station bekommen. Einer der berühmtesten Bewohner des Museums ist der Herkules Farnese, lässig lehnt er über seiner dicken Keule und begrüßt die Besucher.
Die Geschichte vom Pferd des Vergils, das Du in dieser Metro Station finden kannst, ist ein echter neapolitanischer Thriller, denn seine Wurzeln reichen bis vor unserer Zeit. Vergil ist in Neapel nicht nur Dichter, er ist vielmehr ein Magier. Einst kurierte er die Pferde des Kaisers August, als Dankeschön bekam er dafür ein bronzenes Pferd.
Die magischen Kräfte sind vom Besitzer auf das Pferd übergegangen. Denn Legenden berichten, dass die Besitzer eines kranken Tieres das bronzene Pferd des Vergil nur dreimal umrunden mussten, damit die Magie es heilte. Diesem magischen Spuk machten erst die katholischen Anjou ein Ende, sie köpften das bronzene Pferd und schmolzen aus dem Körper Kirchenglocken für den Dom. Wer genau lauscht, kann es noch heute hören, tatsächlich läuten die Glocken des Doms nicht, sie wiehern!
Mater Dei – Haltestelle für die Mutter Gottes
Beim Bau der Metro Station Mater Dei ist gleich das ganze Stadtviertel neu gestaltet worden. So ist der riesige Koi Karpfen auf den Vomero gekommen. Luigi Serafini hat diese bemalte Bronzeskulptur produziert, sie trägt den ironischen Titel: Carpe Diem, Genieße den Tag.
Das Konzept für den urbanen Umbau hat das Atelier Mendini aus Mailand entwickelt, das postmoderne Design ist ein Markenzeichen der Mendini Entwürfe. Die niedlichen magischen Symbole auf den Fahrstuhlhäuschen stehen in Verbindung zu Maria, der Mutter Gottes: Mater Dei. Ein buntes Mosaik von Luigi Ontani schmückt den Zugang zu den Bahnsteigen. Neapolitanische Straßenkinder baden gemeinsam mit Fabelwesen. Der Künstler hat sich als Pulcinella poträtiert.
In der Metro Station dann eine ganz andere Welt. Links und rechts Wände mit Werken des amerikanischen Minimal Künstlers Sol LeWitt. Seine minimalistischen und konzeptuellen Wandbilder untersuchen das Zusammenspiel von Kunst und Architektur. Sol LeWitt hat aber nicht nur Spaß an konzeptuellen Spielereien. Er freut sich auch an knalligen Farben.
Quattro Giornate – Erinnerungen an den 2. Weltkrieg
Die Metro Station Quattro Giornate erinnert an die Vier Tage von Neapel, in denen die Stadtbevölkerung während des zweiten Weltkriegs die deutsche Besatzer-Armee aus der Stadt vertrieben haben. Maria Albanese hat diese Widerstandskämpferinnen aus Bronze geformt.
Die Inschrift In Girum Imus Nocte Ecce Et Consumimur Igni “Wir gehen nachts herum und werden vom Feuer verzehrt“, bezieht sich auf die Widerstandskämpfer, die zur Waffe greifen und ohne Furcht der Bedrohung entgegen gehen. Sergio Fermariello hat für die Station Quattro Giornate archaische Kämpfer an die Wand gehängt.
Vanvitelli – Hinauf auf den Vomero
Die große Spirale von Mario Merz in der Haltestelle Vanvitelli ist eine der letzen Arbeiten des Künstlers. Die Spirale basiert auf der Zahlenreihe des Mathematikers Fibonacci. Mit dieser Zahlenreihe, bei der jede Zahl die Summe aus den zwei vorangegangenen Zahlen ist, lässt sich der goldene Schnitt berechnen. Für Mario Merz ist sie Ausdruck der Schöpfung und der belebten Welt.
Anders als die Haltestellen Toledo oder Universitá war die Metro Haltestelle Vanvitelli schon gebaut, als die Idee der Kunstmetro entwickelt wurde. Die Werke sind also eher als Kunst am Bau in den U-Bahnhof integriert.
In der Metro Linie 6 wurde das Konzept der Metro dell’ Arte weiter entwickelt. So spektakulär wie die U-Bahn Haltestellen der Linie 1 sind die Haltestellen dort aber nicht gestaltet. Mehr Informationen zu der Kunstmetro in Neapel findest Du auf der Website der neapolitanischen Verkehrsbetriebe.
Daten und Fakten zur Metro Neapel:
- Die Linie 1 der Metro in Neapel ist 18 Kilometer lang
- Die U-Bahn Linie 1 hat 18 Stationen, davon gehören 10 zur Metro dell‘ Arte
- In der Metro dell‘ Arte werden fast 200 Werke von 100 Künstlern ausgestellt
- Die Linie 1 transportiert ca. 135.000 Fahrgäste an Wochentagen, ca. 50.000 an Feiertagen
- Die U-Bahn fährt in einem 9 Minuten Takt und macht 242 Fahrten am Tag
- Höchstgeschwindigkeit sind 32 Kilometer pro Stunde
- Die U-Bahn ist von 6:00 Uhr morgens bis 23:00 Uhr abends unterwegs
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