Berlin ist sommers so oft so schön. Während ich zur nächsten Reise aufbreche, fährt das Spätsommer-Programm in meiner Wahlheimat noch einmal richtig hoch. Wie gerne würde ich zum radioeins Parkfest am Gleisdreieck gehen, mir Shakespeare unterm Sternenhimmel anschauen oder mir bei der „Langen Nacht“ Energie aus dem Museum holen. Luxusprobleme. Wie heißt es doch so schön? Egal wo man ist, man ist immer irgendwo nicht. Und das geht voll in Ordnung. Wenn ihr Lust habt auf einen Energie-Mix aus Natur und Kultur, seid ihr hier richtig. Eine gute Orientierung für einen ganzen Tag voll kleiner Sensationen ist die Berliner „Grüntangente“. Einen Abstecher in den ebenfalls grünen Südwesten macht den Mix – finde ich – perfekt.
Chillen und Sporteln im Park am Gleisdreieck
Grüntangente, ein lustiges Wort für etwas so wichtiges wie eine grüne Lunge. Vom Tegeler Forst im Berliner Norden über den Park Rehberge verläuft sie, den Tiergarten entlang des Parks am Gleisdreieck bis zum Natur-Park Schöneberger Südgelände. Gut für alle, die mehr Lust auf Radfahren haben als auf Feinstaub. Und natürlich für die ganze Stadt.
Vom Potsdamer Platz aus kann man mit dem Fahrrad fast ohne Ampel- und Autokontakt bis zur Kreuzberger Monumentenbrücke fahren. Ein Schleichweg führt vom Anhalter Bahnhof über eine Brücke vorbei am Technikmuseum mitten hinein, in das Herz des Ostparks. Berlin-typische Weitläufigkeit wechselt sich mit schönen kleinen Ecken ab. Ein Skatepark gibt sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem angrenzenden kleinen Café betont unbeeindruckt.
Im Flaschenhals, dem 2014 eröffneten dritten Teil des Parks, dominiert die Gleiswildnis. Der Radweg gibt sich als Teil des überregionalen Radfernwegesystems zu erkennen. Er tut so, als könne man ihm direkt bis nach Leipzig folgen. Ob das heute schon geht, muss ich nach meiner Rückkehr erst noch ausprobieren.
Unlängst hörte ich, die ersten Mieter fühlen sich mittlerweile so heimisch, dass sie eine Unterschriftenaktionen gegen den „Lärm im Park“ gestartet haben. Die beschuldigten Parkbesucher hingegen kommen hierher, um sie sich vom „Lärm der Stadt“ zu erholen.
Ich komme gern in den neuen „Central Park“, wie er schon 2013 von der Berliner Presse bezeichnet wurde, weil sich an den zahlreich vorhandenen Platten wirklich vortrefflich Tischtennis spielen lässt. Und ein bisschen, um die ganzen Fitness-Verrückten zu bewundern, die hier allein oder im Rudel gegen den natürlichen Verfall ansporteln.
Natur und Kunst am Schöneberger Südgelände
Rostige Loks und überwucherte Technik, coole Skulpturen und ein frischer Shakespeare. Kaum zu glauben, dass ich den Natur-Park am Schöneberger Südgelände erst vor einigen Jahren entdeckt habe. 1952 wurde der ehemalige Rangierbahnhof stillgelegt. Wucherte knapp 50 Jahre als Bahnwüste und Brache vor sich hin, um zur Jahrtausendwende in Gestalt eines Abenteuer- und Naturkleinods wieder aufzuerstehen.
Der Eingang zum Gelände befindet sich am S-Bahnhof Priesterweg. Es gibt verschiedene Parcours, auf denen man sich über das Gelände bewegen kann, Schilder weisen den Weg. Entweder direkt hinein in den Artenreichtum der Naturoase. Oder mit einem Schlenker über den Skulpturenpark.
Kleiner Wehmutstropfen, der Fahrradparkplatz vor der S-Bahnstation ist weder beleuchtet noch gesichert. Hier werden die Fahrräder erfahrungsgemäß schneller geklaut, als man sie anschließen kann. In den Park mitnehmen darf man sie nicht. Ebenso wenig wie Hunde. Ein Geflecht aus extra angelegten Wegen mäandert sich durch die naturgeschützte Wiesenlandschaft. Hier wird geblüht und gebrütet, dass es eine Freude ist. Da will man ja auch nicht bei stören. Kleine Informationstafeln erzählen mehr davon, welche Tier- und Pflanzenarten sich hier so wohl fühlen.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie schnell die Geräuschkulisse der Großstadt hinter einem verebbt, sobald man sich ins Grüne begibt. Wie sich die Augen, die Lunge und auch das Herz sofort weiten. Es tschirpt und zirpt aus dem niedrigen Gebüsch, es raschelt zart in den Blättern.
Hier, in der Mitte des Geländes, ganz in der Nähe der Drehscheibe für Loks, haben die Birken das Sagen. Verströmt der Waldboden zart-würzige Luft. Es gibt Ausguckplattformen und alte Wagons zum Beklettern. Wer sich mit offenem Mund durstig gespielt habt, kann seine Eindrücke anschließend im Café Paresüd verarbeiten. Zumindest zwischen April und Oktober, Donnerstags bis Sonntags.
Berlin ist Energie. Besuch im Energie-Museum
Wer meinen Post über die Amsterdamer Schule gelesen hat, weiß es: Ich mag Backstein. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis mir die alten Umspannwerke Berlins ins Auge fallen. Die Geschichte der Energieversorgungstechnik ist untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden. In den letzten 100 Jahren wurden die Erfindungs- und Erneuerungszeiträume immer kürzer. Auch die Spannungsstärke hat sich geändert (von 30.000 Volt auf 10.000 und 110.000 Volt), die alten Umspannwerke verloren ihre Bedeutung.
Die erhaltenen Gebäude erzählen heute eine eigene Geschichte von Funktionalität und Ästhetik. Der bekannteste Architekt dieser Architekturform ist Hans Heinrich Müller. Sein Stil ist so charakteristisch, sein Spiel mit Material, Volumen, Formen und Details, dass er zeitgenössische Vertreter des Berliner Realismus bis heute inspiriert. Ich persönlich mag besonders die hohen, schmalen Fenster und die elegante äußere Anmutung dieser im Inneren so funktionalen Gebäude.
Kleiner Exkurs: Mein persönlicher Liebling ist Müllers Umspannwerk in Kreuzberg aus den 1920er Jahren. Da war HH Müller, wie er oft genannt wird, schon Bauleiter der Berliner Elektrizitätswerke. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz und beherbergt mit dem Café Schuchmanns und dem Restaurant Vau gastronomische Einrichtungen. Essen. Auch eine wichtige Form der Energieversorgung.
Doch nun auf nach Steglitz. Denn hier, am Teltowkanal, hat die Energie ein Zuhause. Im Energie-Museum selbst kann man mehr erfahren über die Entwicklung der Versorgungstechnik in Berlin und in ganz Deutschland. Hier wird die Historie der elektrischen Wiedervereinigung nachvollziehbar. Erst 1994 erfolgte die Umstellung von Inselnetz auf Verbundnetz. Unzählige historische Geräte und Apparaturen warten in der ehemaligen Batterielade-Halle auf vorangemeldete Besucher.
Ich war in Physik und Chemie sicher keine Leuchte, doch bei meinem Besuch dort ist ein Knoten geplatzt. Von wegen Strom kommt aus der Steckdose. Welch ein Universum liegt dahinter, welch menschliche Leistung und technischer Aufwand nötig sind, damit wir Strom und Wärme haben und nicht zuletzt, unsere so sklavisch geliebte moderne Kommunikationstechnik nutzen können. Ich komme aus dem Staunen kaum heraus. Dank Herrn Berger, ehemaliger Kraftwerksleiter, heute im (Un)Ruhestand als einer der ehrenamtlich tätigen, engagierten Vereinsmitglieder, habe ich mein Verhältnis zu Gleich- und Wechselstrom neu sortiert. Ganz ohne Kurzschluss.
Palmen und Bananen zum Dessert
Wenn ihr ganz entdeckungslustig drauf seid, macht doch von dort aus noch einen Abstecher zum Botanischen Garten in Dahlem. Das Kraftwerk Steglitz hat früher unter anderem auch dafür gesorgt, dass die Palmen in den Gewächshäusern nicht erfrieren. Und überhaupt kann man nach so viel technischer Energie ruhig wieder ein wenig Natur vertragen. Findet ihr nicht auch?
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Service
Wer die hier vorgeschlagenen Orte an einem Tag erleben möchte, bucht sich am besten einen frühen Termin beim Energie-Museum und fährt von dort aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Potsdamer Platz. Hier könnt ihr euch Fahrräder mieten und in aller Ruhe zum Park am Gleisdreieck und weiter zum Natur-Park Schöneberger Südgelände. Ein Theaterbesuch bei der Shakespeare Company könnte euren perfekten Berliner Natur- und Kulturtag abrunden. Den Botanischen Garten (BGBM) werdet ihr dann in jedem Fall ein anderes Mal entdecken müssen. Wer weiß, vielleicht bleibt ihr auch gleich beim radioeins Parkfest hängen.