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Graffiti mit einem Harlekin.
Graffiti mit einem Harlekin.

Beruf Reiseleiter – Das älteste Gewerbe der Welt

Urlaub machen! Für die einen fantastische Erholung. Für die anderen Arbeit. Seit Jahren verreise ich als professioneller Tourist und arbeite als Reiseleiter. Zeit mal über das Leben on the road nachzudenken. Was ist das besondere an dem mobilen Job Reiseleiter?
Inhalt

Reisen mal anders

Reisen! Urlaub! Die schönste Zeit des Jahres! Freuen sich alle drauf, die es sich leisten können. WOOOW ! Reisen, das ist so eine Art erfreulicher Ausnahmezustand. Temporärer Migration ins Paradies. BOOOOMM ! ! ! Schon die Vorbereitung sorgt für einen kribbeligen Anstieg der Fieberkurve. TIC TAC ,  TIC TAC ! ! ! ! Die Aufregung und wonnige Nervosität wächst, je näher der Tag der Abreise rückt. Und dann endlich geht es los. KA-POW ! ! ! ! !

Wie schön ist das denn ! Ich erlebe Reisen anders. Kein Ausnahmezustand. Alltag und Normalität. Koffer packen, zum Flughafen gondeln, unterwegs sein, Koffer auspacken, frühstücken im Restaurant, Minibar inspizieren und Nachts immer Heißhunger auf Sachen, die es im Hotel bestimmt nicht gibt. Routine.

Graffiti mit einem Weltraumtouristen.
Fertig für die nächste Mission. Der Koffer ist gepackt

 Der professionelle Tourist

WOOOW ! MOMENTE heißen für mich, Nachmittag verdaddeln auf meinem kuscheligen Sofa in Berlin Neukölln. Rausschauen. Draußen Grau und Fisselregen. Herrlich! Kommt allerdings ziemlich selten vor. Denn ich bin professioneller Tourist. Ungefähr 170 Tage im Jahr unterwegs auf Reisen.

“Du hast es gut, du kriegst für deinen Urlaub sogar Geld. Wir müssen dafür bezahlen!“

Bekritteln manche meiner Freunde. Recht haben sie. Ich mache Urlaub und werde dafür bezahlt! Denn ich arbeite als Reiseleiter für einen renommierten deutschen Reiseveranstalter. Ich gestalte für ein solventes Klientel die schönste Zeit des Jahres. Meistens in Italien. Manchmal fahre ich ins Baltikum. Auch sehr, sehr schön! Dieses Jahr war ich sogar in den USA. Ich komme rum.

Stencil mit einem fliegenden Mann.
Beruf oder Berufung? Always give from the heart …

Reiseleiter, ist das ein Beruf?

Seit einiger Zeit bin ich Reiseleiter mit Haut und Haar. Hauptberuflich. Und es macht mir richtig Spaß. Nicht immer, klar. Ist ja auch Arbeit. Aber meistens. Wirklich! Wenn ich meinen Gästen erzähle:

“Ich bin hauptberuflich und festangestellt Reiseleiter.“

Gucken mich manche ganz erstaunt an AARRRRG ! ! und rufen: “Das kann doch gar nicht sein. Sie haben doch bestimmt noch einen anderen Beruf. Sie sind Archäologe oder Journalist oder Künstler oder Lehrer … ?“ HMMMMmmhhh ?

Wenn ich dann antworte: “Nö, ich bin nur Reiseleiter!“ werden die Augen dieser Gäste ganz, ganz groß. Reiseleiter, das ist für viele Menschen einfach gar kein Beruf. Eher irgendetwas Schlüpfriges. Genau! “Reiseleiter“ ist meiner Meinung nach das älteste Gewerbe der Welt. WHAAAMM ! ! ! Ok, vielleicht auch das zweitälteste. Da will ich mich nicht genau festlegen. OOUCHHHH !

Graffiti mit einem Tiger aus Rom.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte | der sich im allerkleinsten Kreise dreht | ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte | in der betäubt ein großer Wille steht.

Diagnose Reisewahnsinn

Fairerweise zugegeben: Ich habe nicht immer so entspannt gedacht. Reiseleiter war auch für mich lange kein Beruf. Deswegen habe ich sogar einige Jahre ganz aufgehört als Reiseleiter.  Bin jeden Tag ins Büro gewackelt. War interessant. Aber ziemlich mau. Etwas fehlte: die Unabhängigkeit des Reisens.

Ohne es richtig zu merken, hatte ich Blut geleckt und war infiziert mit schlimmem Reise-Wahnsinn. OOPS ! ! Ist doch so verführerisch “on the road“ zu sein. Deswegen war ich während meines Urlaubs undercover als Reiseleiter unterwegs. Heute kann ich ganz locker sagen: “Hey, ich bin Reiseleiter. Ein toller Job!“

Dabei hat mir geholfen, wie sehr mich Freunde und Familie, um die Ungebundenheit des Reisens und um die Kenntnis weiter Teile unserer Welt beneiden. BRRRRAAAM ! ! ! Reisen zu können. Das ist ja auch ein Privileg. Das regt die Fantasie an. “Mensch, wo du schon überall gewesen bist!“ sagen sie. Da schwingt sogar ein bisschen Bewunderung und Wertschätzung mit.

Graffiti mit einem Ufo und der Beschriftung "Aliens exist". Eine Metapher für Reiseleiter.
“Aliens exist“ Genau! So ist das!

Streuner, Vagabunden, Außenseiter, Anarchisten

Außerdem gibt es außerordentlich berühmte Menschen, die als Reiseleiter Erstaunliches bewirkten und sogar den Lauf der Kunst- und Kulturgeschichte beeinflussen konnten. Eines meiner großen Vorbilder als Reiseleiter ist Johann Joachim Winckelmann. Immerhin der Erfinder der Archäologie. Er begleitete im 18. Jahrhundert durchlauchteste Herrschaften aus ganz Europa durch die ewige Stadt Rom und reiste mit manchen sogar bis an den Golf von Neapel. Er hat sich ereifert und gezetert und geliebt. Nebenbei schrieb er noch Bücher, die das Denken und den Geschmack einer ganzen Generation veränderten und prägten.

Am Golf von Neapel leistete Winkelmanns Kollege Sir William Hamilton, englischer Botschafter am Hofe Königs Ferdinand des II, Dienst als Reiseleiter. Er stieg mit Kaisern, Königen und Fürsten hinauf auf den Vesuv oder besuchte mit ihnen die Ausgrabungen des gerade wieder entdeckten Pompeji. Dabei knüpfte er ein kulturelles Netzwerk, das ganz Europa umspannte.

Graffiti mit der Frage nach dem Sinn des Lebens.
Der Sinn des Lebens? Bewegung!

Unterwegs mit der Universität auf Rädern

Im 18. Jahrhundert war Reisen eine elitäre Angelegenheit. Für die wohlhabenden Herrschaften auf Grand Tour war die Reise eine Art Universität des Lebens. Die Reiseleiter Winkelmann und Hamilton lehrten aus Passion an dieser besonderen Universität auf Rädern.

Sie erklärten ihren Besuchern die gerade neu entdeckte Welt des alten Roms. Sie machten sie mit den neuesten Theorien rings um Archäologie und Natur vertraut. Im besten Sinne waren die beide wohl Kulturvermittler für ihr adeliges Publikum.

Ich verstehe meinen Job eher als Entertainer und Performer. Eine gut gelungene Reise das ist gute Unterhaltung. Aber wenn es richtig funzt, dann öffnet eine Reise die Augen und die Herzen für das besondere des Reiselandes und für die Anderen, außerhalb unserer vertrauten Welt. Ein kleiner Funken Passion steckt also auch in mir.

Heute genieße ich besonders die unglaubliche Freiheit des Berufs Reiseleiter. Ich verbringe meinen Arbeitstag nicht hinter einem Schreibtisch eingeklemmt. Ich muss nicht die ganze Zeit auf einen Computerbildschirm starren oder mir in endlos Meetings das Ohr abkauen lassen. Ich streune durch die Weltgeschichte und verweile an Orten, die alle Menschen gerne sehen wollen: Das Pantheon in Rom. Den David in Florenz. Die Küste der Kurischen Nehrung. Einen rot glühenden Sonnenuntergang hinter dem gigantischen Gipfel des Monviso. Ist doch toll!

Streetart mit Fallschirmen.
Flow. Das wichtigste schwebt einfach mit

Leben ohne viel Ballast

Rumstreunern. Vagabundieren. Mobil leben ohne viel Ballast. Das gefällt mir. Ich kann nicht stillsitzen. Ich brauche Abwechslung. Klar, so richtig passt dieser Lebensentwurf nicht in eine Arbeitswelt und Gesellschaft, die sich auf Sicherheit, Stabilität und Grenzen fixieren.

Ehrlich, Reiseleiter sind die letzten Anarchisten und subversive Elemente. Ihre Existenz beweist, dass ein Leben auf der Straße, ohne geregeltes “9 to 5“ möglich ist. Ohne Karriere. Ohne berufliche Konkurrenz. Reiseleiter ist Reiseleiter. Es gibt keine Aufstiegschancen. Außer der Wechsel in einen anderen Beruf.

Graffiti mit einem Bären.
Zukunftsaussichten? Heiter und manchmal ein bisschen wolkig …

Wenn Du mehr über das Reisen lesen möchtest, findest Du hier interessante Artikel:

Wie geht es weiter?

Aber will ich das überhaupt, Karriere machen? Manchmal denke ich, die Reiseleiterei hat mich dem regulären Arbeitsmarkt regelrecht entfremdet. Ich kann mir nur schwer vorstellen, 5 Tage die Woche, 8 Stunden am Tag, immer am gleichen Ort, immer mit den gleichen Menschen zu arbeiten. Vielleicht wird ein Bürojob später noch mal attraktiv, wenn mir das Kofferpacken lästig wird. Wer weiß? Aber wahrscheinliche wird meine Geschichte anders ausgehen:

Letztens, im Sommer traf ich in Süditalien auf der Piazza des verschnarchten, apulischen Städtchens Canosa meinen Kollegen Niki. Wir hatten uns sehr lange nicht gesehen. Er sah mich kommen, winkte mir aus der Ferne zu und rief begeistert: “Immer noch unterwegs? Du wirst irgendwann mit dem Mikrofon in der Hand aus der Bustür kippen. Genauso wie ich!” SWOOOOSH ! ! ! ! Nicht die schlechteste Art das Handtuch abzugeben, oder?

Aber bevor es so weit ist, erzähle ich demnächst mal davon, wie ich meinen Alltag auf Reisen gestalte und was mir als professionellem Touristen auf Reisen wichtig ist.

Graffiti aus Jerusalem mit Monumenten aus Berlin.
Ich mache Urlaub in Berlin … auf meinem kuscheligen Sofa in Neukölln