Der Nationalpalast Pena in Sintra
Am besten gebe ich es gleich zu: Ich war noch nie in Neuschwanstein. Mit dem Schloss des Bayernkönigs wird der Nationalpalast Pena in Sintra gern verglichen. Das kommt hin, zumindest was den stilistischen Mischmasch und die horrenden Besucherzahlen angeht.
Pena haben wir aber gar nicht besucht. Warum ich dann davon rede? Weil Sintra viele Gesichter hat. Pena ist nur einer von zahlreichen Palästen inmitten einer aufregenden Kulturlandschaft, die das Label Weltkulturerbe mehr als verdient hat. Wer das alles angucken will, braucht mindestens einen Tag. Wir haben die Publikumsrenner links liegen lassen und uns ins Gebüsch geschlagen.
Das Versteck der Mönche
Das nächste Mal, wenn ich den Kapuzinerkonvent in Sintra besuche, nehme ich mir gregorianische Gesänge mit. Dann setze ich mich in die blau gekachelte Capela da Paixão de Cristo (Kapelle der Leiden Christi) oder in den Kapitelsaal und fülle die engen Steinkammern mit den Stimmen der Mönche. Es gibt ein Video, das einen etwas wackelig aufgenommen Rundgang durch das Kloster mit Mönchschorälen begleitet. So ähnlich stelle ich mir das vor.
Aber Fotos, Videos, Musik – nichts kann die Atmosphäre dieses Ortes richtig einfangen. Das hat vor allem mit der Lage zu tun: Das Kloster liegt so versteckt im Wald, dass man es kaum findet. Natürlich, heute gibt es einen Parkplatz und einen breiten Weg, der dorthin führt. Aber selbst wer direkt vor dem Eingang steht, würde niemals vermuten, dass sich dahinter ein Kloster verbirgt.
Im Waldgebirge von Sintra
Lissabon liegt nur 25 Kilometer entfernt, aber die Stadt ist weit weg. Es ist kühl hier oben, mitten im August, die Wälder rauschen, die Luft schmeckt würzig. Was 150 Meter Höhenunterschied ausmachen! Das Mikroklima lebt von der Nähe zum Meer, oft hängt Nebel zwischen den Bäumen. Das machte Sintra im Zeitalter der Romantik zur klassischen Sommerfrische für Mitglieder der Königsfamilie und mondäne Hauptstädter.
Die Landschaft ist aber auch wie geschaffen für opulente Residenzen mit ausgedehnten Gärten voller Blickachsen und versteckter Lustwinkel. Die „wilde“ Natur sprießt so malerisch, wie es sich die Romantiker des 19. Jahrhunderts nur wünschen konnten. Allerdings waren sie nicht die ersten, die es hierher zog. Lange vor ihnen suchten Mönche die waldige Einsamkeit der Berge von Sintra und gründeten ihre Klöster.
Der Eingang zum Kapuzinerkonvent, der Pórtico das Fragas, besteht aus zwei mächtigen Felstrümmern, die sich wie zu einem Kuss berühren. Nichts ist hier von Menschenhand gebaut außer der Treppe, die unter dem Felsenkuss hindurchführt. Das ganze Kloster duckt sich in die Natur, macht Gebrauch von ihr, richtet sich in ihr ein. Moosteppiche tarnen die Mauern und geben ihnen den Anschein, als wären sie direkt dem Waldboden der Serra de Sintra entwachsen.
Kunstraub in der Kapelle
Die spärliche Dekoration besteht aus Muscheln, seltener Azulejos. Ein Großteil der Verzierung ist verschwunden, und das liegt nicht allein am Verfall: 1984 schlugen Kunsträuber aus einer Kapelle des Klosters ein wertvolles Kachelbild von der Geißelung Christi – einer der ersten registrierten Fälle von Azulejo-Diebstahl. Der grassiert in Portugal seit Jahren und seit der Wirtschaftskrise wieder vermehrt, wie das Portal SOS azulejo registriert.
Heute würde es keinem Besucher auffallen, dass das Wandbild fehlt. Das macht den Diebstahl nicht besser, doch zumindest zerstört der Kunstraub nicht die einzigartige Ausstrahlung des Ortes. Denn als 1560 die ersten Kapuziner einzogen, stand ihnen nicht der Sinn nach Zierrat. Entsprechend selten treffen wir auf Wandmalereien.
Gelebte Askese
Nur einmal, im Vorraum der so genannten Eremitage, entdecken wir ein Wandbild. Es zeigt den Heiligen Franziskus, nach dessen Regeln die Kapuziner leben. Auch der Heilige Antonius ist hier als Fresko zu sehen. Ansonsten gibt es als Schmuck vor allem Kreuze und Bescheidenheit.
„In allen meinen Königreichen“, soll König Philipp II. beim Besuch des Kapuzinerklosters in Sintra gesagt haben, „gibt es zwei Orte, die mich tief beeindruckt haben: El Escorial wegen seiner Pracht und der Convent von Santa Cruz wegen seiner Einfachheit.“
Convento de Santa Cruz war der ursprüngliche Name des Klosters. Seine Architektur ist steingewordene Askese. Winzige Zellen mit niedrigen Türen, die den Eintretenden zwingen, das Haupt in Demut zu beugen, schmale Gänge und enge, verwinkelte Treppen, dämmrige, manchmal gänzlich fensterlose Räume unter drückenden Decken, ein nackter Steintisch als Refektorium – das sind die Bedingungen, unter denen die Mönche in zen-artiger Einkehr Gott suchten.
Kork spendet Wärme
Aufwändiger ausgestattet sind nur die gemeinsamen Gebetsräume. Ein bisschen mehr Platz gönnten sich die Ordensbrüder außerdem in Küche, Bibliothek und Waschraum, der auch die Gemeinschaftstoilette enthält. Kalt und feucht muss es hier gewesen sein, erst recht im Winter, der in Sintra besonders regenreich ist.
Gegen Kälte und Feuchtigkeit allerdings fanden die Mönche von Sintra ein probates Mittel: Wo immer möglich und sinnvoll, isolierten sie die kahlen Steinwände mit Kork. Kork an den Decken, auf steinernen Bänken, an Fenster- und Türrahmen, sogar an den Türen der Wandschränke und als Kreuz an der Wand. Korkeichen gibt es in der Umgebung genug, also war der Aufwand recht gering. Und wer kein Rheuma in den Gliedern hat, kann dem Herrn besser und länger dienen, mögen die frommen Bewohner gedacht haben.
Bettelmönch im Märchenwald
So bescheiden die Bauweise, so üppig die Natur. Die Mönche haben sie jahrhundertelang gepflegt und von ihr gelebt, deshalb ist der Wald in diesem Teil der Serra de Sintra so ursprünglich wie nirgendwo sonst. Erdbeerbäume, Haselnussbäume, Lorbeer, Esskastanien, Lavendel und Rosmarin wuchsen den Ordensbrüdern förmlich in den Mund und sind auch heute noch verbreitet.
Die Umgebung des Klosters mit ihren übermoosten Felsblöcken, knorrigen Bäumen und verwunschenen Treppenwegen ist der reinste Märchenwald. Etwas oberhalb am Berg liegt eine kleine Grotte – die perfekte Einsiedelei. Die Mönche brauchten nicht einmal gute Kletterer sein, um sie zu erreichen.
Der Ort bot ihnen gleich zwei Vorteile: Sie waren näher an Gott und genossen nebenbei den weiten Blick aufs nahe Meer. Für sie war das genug der Glückseligkeit. Wir sind weniger genügsam: Nachdem wir ein bisschen herumgeklettert sind, nehmen wir Kurs auf den Strand – gerade noch rechzeitig, bevor Wind und Dunkelheit das Baden unmöglich machen.