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Burghofmuseum in Soest.
Burghofmuseum in Soest.

Stadtspaziergang: Soest im Frühling

Früher dachte ich, Hansestädte lägen am Meer. Bis ich Soest kennenlernte. Küste? Fehlanzeige. Im Süden dräut das Sauerland, der Rest ist platt wie ein Ozean. Umso krachender der Auftritt von Kirchtürmen und Stadtmauer – ideal für einen Stadtspaziergang im Frühling
Inhalt

Ein Abend in Soest

Wer Soest falsch ausspricht, hat schon verloren. Das „oe“ hat wie ein langes O zu klingen, um Gottes Willen nicht wie Ö. Da sind die Einwohner eigen. Ansonsten gibt es in Soest keine Fettnäpfchen, dafür aber jede Menge Fressnäpfe. Es ist wohl noch nie vorgekommen, dass hier jemand beim Stadtspaziergang verhungert wäre – die Dichte der Biergärten, Esslokale und Kneipen ist immens. Aber Vorsicht: Beim Soester Kneipenfestival Mitte Februar ist alles ausgebucht, bis auf den letzten Platz!

Wir wissen das nicht und spazieren natürlich genau an diesem einen Abend im Jahr durch Soest. Obwohl: Spazieren kann man eigentlich nicht sagen, weil es in Strömen regnet. Aber das ist uns egal – Hauptsache, weg von Bad Sassendorf. In diesem überaus reizenden Kurbad soll ich mich drei Wochen lang „erholen“, aber weil dort der Hund begraben ist, wird das benachbarte Soest am Wochenende zum Rettungsanker. Trotz Kneipenfestival bekommen wir immerhin noch etwas zu essen, im Ratskeller. Der ist zwar etwas unterkühlt, aber dafür trocken und sogar ganz lecker.

Selbstbewusst: Soest als Hansestadt der ersten Stunde

Das auffälligste an Soest sind die vielen großen Kirchen und die mächtige Stadtmauer. Gut für einen Stadtspaziergang. Aber sieht so eine Provinzstadt aus? Eher nicht. In fast 1.200 Jahren kann ja auch viel passieren. So alt ist Soest nämlich. Die Gründung am Hellweg, einer zentralen europäischen Handelsstraße, stand unter einem so guten Stern, dass sich die Stadt relativ bald selbstständig machte. Und das, obwohl es damals fast unmöglich war, den Besitzansprüchen von Königen, Fürsten oder Erzbischöfen die Stirn zu bieten. Genau das aber taten die Soester Kaufleute, und zwar ziemlich erfolgreich.

Musikanten-Skulptur vor St. Petr in Soest.
Im Mittelalter spielten die Soester ganz oben mit in Europa: Musikanten-Skulptur vor St. Petri, der „Alden Kerke“, der ältesten Kirchengründung Westfalens.

Schlagendster Beweis dafür ist eine alte Kuhhaut. Auf ihr steht das alte Soester Stadtrecht – das erste überhaupt, das für den deutschsprachigen Raum überliefert ist. Soester Kaufleute waren es später auch, die Lübeck mitbegründeten und dafür sorgten, dass Lübeck 1160 das Soester Stadtrecht erhielt. Historiker sehen darin heute das Gründungsdatum der Hanse. Um diese Zeit stand der Soester Dom schon rund 200 Jahre lang. Sein mächtiges, 77 Meter hohes Westwerk ist beim Stadtspaziergang ein guter Orientierungspunkt und natürlich eine Pflichtsehenswürdigkeit.

Aufsässig: Eine Fehde mit Folgen

Dank der Hanse reichten die Handelskontakte bald bis ins ferne Nowgorod im heutigen Russland. Der Geschäftserfolg machte die Soester selbstbewusst und verleitete sie, sich mit ihrem Landesherrn anzulegen, dem mächtigen Kölner Erzbischof. In der Soester Fehde Mitte des 15. Jahrhunderts setzten sie sich nach sechsjährigem Hin und Her tatsächlich gegen ihn durch. Dabei kam auch die wehrhafte Stadtmauer zum Einsatz. Allerdings war die Stadt danach von feindlichem Territorium umgeben und verlor den wirtschaftlichen Kontakt zu ihrem Hinterland. Das traf einen Lebensnerv. In den folgenden Jahrzehnten degenerierte Soest von einer Handelsmetropole europäischen Ranges zur provinziellen Ackerbürgerstadt.

Zwei Museen erzählen die bewegte Stadtgeschichte von Soest: das Museum im Osthofentor und das Burghofmuseum, das in einem alten Patrizierhaus anno 1559 logiert. Falls also mal Regenwetter den Stadtspaziergang verhageln sollte, sind das zwei gute Adressen, um sich die Zeit zu vertreiben und zugleich zwei herausragende historische Gebäude der Stadt von innen kennenzulernen.

Das Osthofentor in Soest.
Das mächtige Osthofentor ist das einzige von ehemals zehn Stadttoren, das noch erhalten ist.

Der beste Stadtspaziergang: Immer der Mauer nach

In Erdkunde haben sie uns früher mit der Soester Börde gepiesackt. Die Botschaft: Weltweit gibt es kaum Gegenden, die der Soester Börde in Sachen Fruchtbarkeit das Wasser reichen könnten. Das macht der Löss, ein feines Gemisch aus Ton, Sand und noch ein paar anderen Ingredienzien. Kein Wunder also, dass die Soester sich auf die Landwirtschaft stürzten, als es mit dem Handel bergab ging.

Die beste Sicht auf diesen Gegensatz – drinnen (prächtig renovierte) Kaufmannsstadt, draußen Bauernland –  vermittelt ein Spaziergang auf der Stadtmauer. Die ist eigentlich eher ein befestigter Stadtwall, von dessen ehemals 3,8 Kilometern noch zwei Drittel erhalten sind. An unserem zweiten Soest-Tag spazieren wir los, bei eitel Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen – der Regen hat sich zum Glück verzogen. Auf der Krone des Stadtwalls wachsen Bäume und ganze Alleen, überall treibt die Natur erste Blüten, und wenn wir wollten, könnten wir so manchem Soester in den Garten spucken.

Unterwegs passieren wir gleich mehrere Sehenswürdigkeiten. Dazu gehört das Pilgrimhaus, 1304 als Pilgerherberge eines Mönchsordens in Dienst genommen und heute das älteste Gasthaus Westfalens. Auf der entgegengesetzten Seite der Altstadt steht der „schiefe Turm“ von Soest: die wirklich ziemlich schräge Turmspitze von Alt St. Thomä. Und auf halbem Weg unterbricht der massige Bau des Osthofentors den Stadtspaziergang entlang der Stadtmauer.

Der schiefe Turm von Alt Sankt Thomae.
Alt St. Thomä, entstanden um 1270 als einer der ältesten gotischen Kirchenbauten der Stadt, bekam 1653 einen neuen Turm, der sich durch Fäulnis im Gebälk verbog.

Brot und Spiele: Spektakel am Großen Teich

Soest liegt zwar nicht am Meer, aber einen Großen Teich gibt es trotzdem, mitten in der Stadt. Die Teichsmühle an seinem südlichen Ufer ist die älteste von ehemals 37 Mühlen, die in Soest und Umgebung mahlten und klapperten. Am Großen Teich ging das auch im Winter, weil hier gleich mehrere warme Quellen eine Vereisung verhindern.

Deshalb war auch die Hexenwippe ganzjährig in Betrieb. Was den Franzosen ihre Guillotine, ist den Soestern ihre Wippe, allerdings in einer ganz harmlosen Variante. Die gelb gestrichene Apparatur – Gelb war im Mittelalter eine der Schandfarben – beförderte Gauner kleineren Kalibers in aller Öffentlichkeit und hohem Bogen in den Teich. Da das unfreiwillig geschah und die Körperpflege mit Wasser in jenen Zeiten ganz und gar nicht in Mode war, verloren die Deliquenten gleich doppelt ihr Gesicht. Das erhöhte den Reiz des Spektakels für die Zuschauer, die am Teichufer johlten und krakeelten.

Wiesenkirche und großer Teich in Soest.
Der Große Teich im Zentrum von Soest mit der Teichsmühle. Im Hintergrund St. Maria zur Wiese

Brot und Spiele à la Soest, könnte man sagen. Zwar gibt es die Hexenwippe nur noch als Nachbau, aber auf dem Stadtspaziergang darf sie natürlich nicht fehlen. In Sachen Brot haben die Soester eine ganz besondere Spezialität: ihr Möpkenbrot, eine typisch westfälische Kreation, deftig und handfest. Wer es probieren will, muss allerdings in die Metzgerei gehen, denn es besteht aus Schweineblut, Mehl, Speck und Rosinen, hat also mit Brot nicht ganz so viel zu tun. Das Ergebnis ist Geschmackssache, aber gerade nach einem langen Stadtspaziergang eignet es sich gut, um die Kraftreserven wieder aufzufüllen.

Westfälisch: Von der Wiesenkirche zum Abendmahl

Typisch westfälisch geht es auch in St. Maria zur Wiese zu, wenigstens auf den zweiten Blick. Als wir die Kathedrale betreten, sitzt ein Mönch im Seitenschiff und singt leise liturgische Gesänge. Die Akustik in der großen gotischen Hallenkirche trägt seine klare Stimme in jeden Winkel des gewaltigen Saals. Das ist auf zerbrechliche Weise schön.

Ein Merkmal dieser Kirche sind die hohen bunten Fensterbahnen. Das wohl bekannteste Fenster ist zugleich eines der kleinsten. Es öffnet sich über dem Nordportal und zeigt Jesus mit seinen Jüngern beim Abendmahl. Der Künstler orientiert sich an gängigen Bildmustern – da sitzen lauter bärtige ältere Männer in leuchtend bunten Gewändern. Ungewöhnlich ist die Kost: Sie besteht aus Bier, Schinken und dunklem Brot. Was wir da staunend betrachten, ist in kulinarischer Hinsicht ganz klar eine westfälische Tafel.

Glasfenster der Kirch Santa Maria zu Wiese in Soest.
Das „Westfälische Abendmahl“ zeigt als Fensterbild Jesus und die Jünger mit Bierhumpen, westfälischem Schinken und dunklem „Pumpernickel“-Brot

Der Magen knurrt, es wird Zeit fürs Essen. Wir machen es wie die Soester – jedenfalls sagt das Lars, der kommt da her – und gehen ins Brauhaus Christ. Dass liegt direkt um die Ecke, hat einen großen Biergarten und eine zünftige westfälische Speisekarte. Nur Möpkenbrot gibt’s hier nicht, aber das macht nichts. Wir lassen uns unser westfälisches Abendmahl schmecken und beenden unseren Stadtspaziergang für heute am Bahnhof mit dem letzten Zug nach Bad Sassendorf.

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Ein paar Tipps zum Schluss

Soest hat zwar keinen Karneval, aber tolle Tage gibt’s auch hier. Es sind fünf, um genau zu sein, und sie verwandeln Soest regelmäßig im November in einen großen Jahrmarkt – seit 682 Jahren! Wer Trubel und wilde Fahrgeschäfte mag, sollte sich diese Allerheiligenkirmes nicht entgehen lassen – sie gilt als die größte Altstadtkirmes Europas.

Kunstliebhabern bietet Soest neben den zahlreichen und wirklich sehenswerten Kirchen das Museum des namhaften Soester Expressionisten Wilhelm Morgner. Und die Stadt hat noch einen bekannten ehemaligen Bewohner: den Künstler und Philosophen Hugo Kükelhaus, dessen „unbezahlbares Haus“ am Rand eines hübschen Parks mit altem Baumbestand liegt.

Definitiv einen Aufenthalt wert ist die altehrwürdige Rittersche Buchhandlung. Knarrende Dielen, überhaupt viel Holz, und das gediegene Interieur verbreiten Gemütlichkeit, die aber genauso unverstaubt ist wie das abwechslungsreiche Buchprogramm, das sogar Platz für eine schöne Kinderbuchabteilung hat.

Rittersche Buchhandlung in Soest.
Hier fühlen sich Leseratten wohl: die traditionsreiche Rittersche Buchhandlung anno 1836