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24 Stunden in Weimar

Weltkulturerbe „Klassisches Weimar“. Busladungen voller Touristen? Nicht im Februar. Jetzt lädt die beliebte Weimarer Altstadt zum langsamen Erleben ein – und zum frühen Tagesstart. Denn die Sehenswürdigkeiten schließen zeitig. So bleibt Raum für die thüringische Küche – und eine schöne Bar.
Inhalt

„Sobald ich Ihnen sage, ich bin auf der Flucht, sobald hab ich mein ganzes Schiksal geschildert.“ (Schiller an Dalberg, 6./7.10.1782)

Weimar liegt schön mittig. Wenn man aus Frankfurt am Main und aus Berlin kommt. Denn das ist Teil dieser Versuchsanordnung: Zwei Personen aus zwei Städten und ein kurzes Wochenende. Treffpunkt, ungefähr auf halbem Weg, ungefähr jetzt, in der Wartehalle am Bahnhof. Die mittelgroße, weltberühmte Stadt mit ihrem aufwendig restaurierten Altstadt-Ensemble aus Einzelbauten und Parkanlagen haben wir beide vor langer Zeit schon einmal besucht. Heute kehren wir zurück. Einfach so. Und dann noch nur für 24 Stunden. Eine schöne Zeit in guter Gesellschaft erleben kann so einfach sein. Das hoffen wir.

Vom Bahnhof aus sind es gute fünfzehn Minuten Fußweg bis zur Altstadt. Vorbei am Weimarplatz und an der Weimarhalle. Wir sind in Weimar, nicht in Halle. Und der literarischen Übermacht dieser Stadt setzt man am besten flachen Wortwitz entgegen. Entdeckungstouren auf leeren Magen findet auch die Begleitung doof, also kehren wir zu frühen Mittagszeit erst einmal ein. Das Anno 1900 in der Geleitstraße lockt mit kleiner feiner Karte in den ehemaligen Wintergarten des Hotels Chemnitius.

Laut Überlieferungen waren Hotel und Wintergarten damals der gesellschaftliche Hotspot. Zwischendurch wurde das Nebengebäude dann als alles Mögliche genutzt. Heute ist es einfach schön. Und lecker. Ein paar Schritte weiter, zwischen Theaterplatz und Markt häufen sich die Restaurationen.

Der lokale Markt ist, wie in den meisten Städten, ein guter Ort, um sich in die neue Umgebung einzuhören. Und Bratwurststände zu zählen. Denn auf einmal sehen wir sie überall, die echten Thüringer.

Weimar_Markt_Thüringer_Wurst (Unicode-Codierungskonflikt)
… wirklich?

Komm, wir besuchen Schiller

Auf zum gebürtigen Württemberger Johann Christoph Friedrich Schiller und dem Wohnhaus seiner Weimarer Jahre. Von 1799 bis zu seinem Tode 1805 beherbergt das schmucke Stadthaus den Dichter und seine Familie. Weil wir zu aufgekratzt sind, um uns der zeitlosen Größe und Würde von Schillers Werk zu stellen, konzentrieren wir uns auf die Architektur und die Ausstattung. Am liebsten gleich einziehen. Meine Gleichgültigkeit gegenüber Tapeten? Vergessen! Angesichts der schönen Exemplare und des mutigen Mustermix gerate ich hell in Begeisterung. Meiner Begleitung geht es genauso. Die nächste Versuchsanordnung für ein gemeinsames Wochenende trägt ab da den Arbeitstitel Tapetenmuseum.

Arbeiten nach der Farbenlehre

„Der Schiller ist ja auch so früh gestorben“, wispert einer der wenigen anderen Besucher mit Blick auf das Schillersche Sterbebett. Der Deckenbezug ist grün. Schillers ganzes Arbeitszimmer ist grün. Goethes, wir werden das am nächsten Tag sehen, im übrigen auch. Goethe hatte Schiller davon überzeugt, dass grün die einzige Farbe für ein Arbeitszimmer sei. Nach seiner Farblehre beruhigt grün das Auge und das Gemüt, was allen Räumen zugute kommt, in denen man sich häufig aufhielt. Und wenn grüne Tapeten für die beiden Ausnahme-Dichter noch so konzentrationsfördernd waren, sie waren auch gefährlich. Angeblich gasten sie sogar giftige Substanzen aus.

Schillers Kartenspiel in seinem Haus in Weimar
Schillers Kartenspiel in seinem Haus in Weimar

Und quälten ebenso wie sie inspirierten. Spuren von Folgeerscheinungen, die auf Vergiftungen schließen lassen, seien auch, so erzählt es uns ein auskunftsfreudiger Herr vom Aufsichtspersonal im Theaterflüsterton, bei einer späten DNA-Untersuchung von Verwandten Schillers gefunden worden. Allein die Geschichten um Schillers bemitleidenswerten Gesundheitszustand zu Lebzeiten, die möglichen Ursachen seines Ablebens und das Drama um den verlorenen Schädel könnten einen dritten Faust füllen. Bis der erscheint, gehen wir in die Bibliothek.

Schillers Schreibtisch, Schillerhaus, Weimar
Schillers Schreibtisch, Schillerhaus, Weimar

Herzogin Anna Amalia und die beweinten Bücher

Den Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek habe ich zum Glück noch vor dem verheerenden Kabelbrand in der Nacht vom 2. September 2004 gesehen. Maximal 250 Besucher pro Tag verträgt der Saal heute. Die meisten Karten gehen übers Internet weg, nur ein Tageskontingent von 50 Karten wird morgens an der Ticketkasse verkauft.

Wir gehen durch die kostenlose Ausstellung. Schlichte Vitrinen, eine übersichtliche und ansprechende grafische Aufbereitung. Auf einen Blick präsentiert sich das Unfassbare in nüchternen Zahlen: Von 196.000 Büchern konnten nur 7% unversehrt geborgen werden. Der Rest ist verloren, zu Asche verbrannt oder weist schwere Wasser-, Hitze-, Ruß und Rauchschaden auf.

In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek können Besucher die Auswirkungen des großen Brandes schauend nachvollziehen.
In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek können Besucher die Auswirkungen des großen Brandes schauend nachvollziehen.

Welche Kraft dieses Ereignis freigesetzt hat. Bereits 3 Jahre nach der Brandnacht, im Oktober 2007, wurde der wiederhergestellte Rokokosaal wieder eröffnet. Ein kurzes Video zeigt in stummer Endlosschleife die Alptraumbilder der Brandnacht. Den Platz, das Gebäude von außen, den Büchersaal. Dicker Löschschaum quillt durch die Regale, nasse und verkohlte Buchreste soweit das Auge blickt. Der andauernden Sisyphos-Arbeit der Buchrestauratoren geht der Einsatz von über 900 Helfern voraus. Unmittelbar nach dem Unglück versuchten sie zu retten was noch zu retten war. Über Geld- und Bücherspenden freut sich die Stiftung Klassik Weimar auch im 11. Jahr danach.

So viele Bücher sind verloren, doch der Versuch der Rettung und Wiederherstellung dauert an.
So viele Bücher sind verloren, doch der Versuch der Rettung und Wiederherstellung dauert an.

Von Elephanten, Oliven und Nüsschen

Die inneren Bilder löscht man am besten in einer Weimarer Institution gleich um die Ecke von der Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Dem Hotel Elephant, das 1696 an diesem Platz eröffnet wurde. Eine Informationstafel in der Lobby erzählt, reich bebildert, ein spannendes Stück Weimarer Geschichte. Doch nun, auf in die Elephantenbar. Im hinteren Teil entdecken wir einen kleinen separaten Raum mit gemütlichen Barsesseln.

Elephantenbar_Drinks
„Flying“ mit Gin und Sekt und Limette und whoop whopp (li.) „Martini dry“ (re.). Und in der Mitte der Star: die Nüsschen.

Von hier aus genießen wir den Blick auf den Markt in der Dämmerung. Wir erweitern des Dichters Motto „Die Welt sehend begreifen“ um: „trinkend begreifen“. Und bestellen noch einen Drink, auch weil die Nüsschen so gut sind. Die Cocktails aber auch. Auf einmal ist es dunkel. Den Einstieg in das kulturelle Abendprogramm haben wir verpasst. Selber schuld, wir wollten uns ja entspannt treiben lassen. Immerhin lesen wir im Veranstaltungsprogramm nach, welche Theatervorstellungen wir nun verpassen werden. Ob „Säggsisch für die innerdeitsche Entwigglung“ oder „Der erotische Goethe“ uns weltbewegt oder erschüttert hätten? Das darf ein Geheimnis bleiben. Darauf noch ein paar Oliven.

Theaterplatz_GoetheSchiller
Wenn Dichter und Denker hübsch rumstehen … ist noch lange kein Theater.

Statt Theater …

Wenn wir schon das Theater haben sausen lassen, wollen wir zumindest ins Theater Café am Theaterplatz. Ein überaus geschmacksarmes Lichtkonzept überrascht uns gleich am Eingang. Eines, das seine Hässlichkeit mit Vielfarbigkeit auszugleichen versucht. Das rührt uns irgendwie. Der ganze Innenraum leuchtet wie ein 90er Jahre Acid-Trip. Wer bitte denkt sich sowas aus? Sonnenbrille – wo bist du, wenn man dich am dringendsten braucht? Wir kneifen die Augen zusammen – und bleiben. Denn kochen können sie. Würstchen mit Kraut oder Tafelspitz oder Rinderroulade und andere Schweinereien mit Kloß und Soß. Dazu gibt es Ehringsdorfer Urbräu. In Gedanken proste ich Lorenz Töpperwien zu, der ja unlängst im nahen Erfurt Schluntz vom Faß probiert hat.

In der Natur, da steht ein Haus

Am nächsten Morgen betreten wir den Park an der Ilm auf Höhe der Puschkinallee, gleich hinter dem Platz der Demokratie. Matschige Wege treffen auf vorfrühlingshaftes Vogelgezwitscher, die Luft ist mild.

Weimar_Park_an_der_Ilm
Der Park an der Ilm riecht schon nach Frühling …

Schon bald taucht rechter Hand, auf der anderen Seite der Ilm, Goethes Gartenhaus auf. Zu seiner Zeit war der Park weit wilder bewachsen, die Kunstdrucke im Inneren des Häuschens und der Audioguide werden uns mehr davon erzählen. Ein Weingitter aus Holz strukturiert umlaufend die taubenblau-grau gestrichenen Außenwände. Ganz selbstverständlich erhebt sich das Haus über dem angelegten Garten und die sanft zum Fluss abschwingende Landschaft. Und wieder wollen wir am liebsten sofort einziehen. Was ist nur los mit uns? Zum Glück gibt es hier keine Tapeten, sonst wäre die Sache wahrscheinlich aus dem Ruder gelaufen.

Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm...
Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm…
... rundum in Weingitter gekleidet.
… rundum in Weingitter gekleidet.

Und in der Stadt steht auch noch eins

Schnell weg hier. Wir haben die Hoffnung, dass die Größe des Wohnhauses am Frauenplan solche Haben-wollen-Gedanken gar nicht erst aufkommen lässt. Goethes Wohnhaus ist wirklich imposant. Wir nehmen uns viel Zeit durch die Räume zu wandern. Jedes Zimmer atmet seine Farbenlehre, vibriert vor Reichtum und manifestiertem Wissenshunger. Und das, obwohl die meisten Sammlerstücke und Exponate ins angegliederten Museum ausgelagert sind. Zu Goethes Lebzeiten muss es hier ausgesehen haben wie in einem vollgestopften Magazin.

Antike Skulpturen, hier die Juno, ...
Antike Skulpturen, hier die Juno, …
... , hier eine mir noch unbekannte Schönheit, finden sich im ganzen Haus.
… , hier eine mir noch unbekannte Schönheit, finden sich im ganzen Haus.

Seine große Italienreise (September 1786 und Mai 1788), über die er in „Die Italienische Reise“ schrieb, kann auch als Burn-Out-Vorsorge gelesen werden. Sich aus den fordernden Ministerial- und Führungsaufgaben für eine gewisse Zeit herausnehmen zu können, war für ihn eine große Gnade. Den inneren Blick wieder einmal ganz zu öffnen, sich die Welt weiter sehend und sammelnd untertan zu machen, seine Rettung.

Wer mit ebendieser Haltung durch die Ausstellungsräume des Museums streift, erlebt einen bei aller Verherrlichung im besten Sinne menschlichen Goethe. Einen Mann, der nie aufgehört hat zu suchen und der immer noch mehr wissen wollte. Der seine Zeit auf dieser Erde sehr gut genutzt hat. Um über sich selbst hinauszuwachsen – und die Welt durch seine Ansichten, Erkenntnisse und Verse zu bereichern.

Blick in Goethes Arbeitszimmer im Haus am Frauenplan - natürlich in grün. Auf dem Kissen ließ er beim Lesen seine Hände ruhen, links sehen wir Mineralienschränke.
Blick in Goethes Arbeitszimmer im Haus am Frauenplan – natürlich in grün. Auf dem Kissen ließ er beim Lesen seine Hände ruhen, links sehen wir Mineralienschränke.
Die Raumflucht im Gartenhaus in Richtung Arbeitszimmer. Im Hintergrund der "Esel" am Schreibpult. Schon Goethe wusste, zu viel Arbeit im Sitzen ist nicht gesund. - und setzte (sich) auf den bequemen Stehhocker.
Die Raumflucht im Gartenhaus in Richtung Arbeitszimmer. Im Hintergrund der „Esel“ am Schreibpult. Schon Goethe wusste, zu viel Arbeit im Sitzen ist nicht gesund. – und setzte (sich) auf den bequemen Stehhocker.

Die Sammelwut lebt – In der Mineralien- und Fossilienhandlung Peter Gensel

Wir landen im Café und Restaurant Frauentor in der Schillerstraße, um unseren Gedanken noch ein wenig nachzuhängen. Und nach dem ganzen Genuss für Kopf und Auge auch dem Magen was zu gönnen. Wie gut, dass die Maronentorte vom üppigen Kuchen- und Tortenbüffet zu uns herüber zwinkert. Auch die Suppen können sich sehen lassen, schmecken tun sie asiatisch scharf bis thüringisch mild.

Die Mineralien- und Fossilienhandlung von Peter Gensel fällt auf.
Die Mineralien- und Fossilienhandlung von Peter Gensel fällt auf.

Der Zeitpunkt der Abreise nähert sich. Ebenfalls in der Schillerstraße, kurz vor Schillers Wohnhaus, sticht uns ein Schaufenster besonders ins Auge. Kugelfische und Haifischzähne, versteinerte Fossilien und in Harz gegossene Insekten, dazu Zapfen, Conchylien und Trockenfrüchte aus der ganzen Welt. Peter Gensel betreibt das Geschäft gemeinsam mit seiner Frau. Wir erleben sie als fröhliches Energiebündel, die nicht nur in Glas gegossene Insekten zu mögen scheint. Schwuppdiwupp will sie mir eine zeigefingergroße Kakerlake auf die Hand setzen. In einer baumelnden Schnur aus Schlüsselanhängern und Mini-Kugelfischen hängen zwei Baumheuschrecken. Männchen und Weibchen beim Sonntagsspaziergang. Die Kinder, die ihre Eltern in diese Wunderkammer gezerrt haben, staunen sich wund. Uns geht es wie ihnen.

Weimar Mineralien- und Fossilienhandlung Peter Gensel Innenraum
Im Inneren kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Wir unterhalten uns ein bisschen mit der Inhaberin. Und als ich gerade denke: Ich muss diese Geldbörse aus Krötenleder unbedingt haben, höre ich sie plötzlich sagen:

„Mit nur einem dieser Präparate halte ich Jahrtausende, teilweise Millionen von Jahren Erdgeschichte in der Hand. Wenn ich darüber nachdenke, was nehmen wir unsere kleinen Sorgen oft wichtig und zerbrechen uns den Kopf. Wir sind nur sooo kurz hier.“ Mit welchem Glück, welcher Ruhe und Ehrfurcht sie das versteinerte Fossil in der Hand hält. Ich sehe sie an und glaube ihr. Und bin für einen Moment wunschlos glücklich.

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Welche Dame von Welt träumt nicht davon, diese kleine Kröten-Tasche einmal im Restaurant vor sich auf den Tisch zu legen.

Wenn Dich Weimar interessiert, dann lies auch diese Reiseberichte:

Service-Tipps

Für Aufenthalte ab 48 Stunden ist die Weimar Card eine Überlegung wert. Infos, auch zu den aktuellen Abendveranstaltungen, gibt es an der Tourist-Information am Markt.

Wer den Rokokosaal in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek besuchen möchte, sollte vorsichtshalber vorbestellen. Oder morgens zeitig da sein (Der Ticketschalter öffnet ab 9h).

Das Neue Museum ist 2015 wegen Renovierung geschlossen.

Cranach in Weimar. Vom 3. April-14. Juni 2015 Schiller Museum und in der St. Peter und Paul Kirche.

Und: Von Weimar ist es nur ein Katzensprung nach Erfurt.